Stress und Gesundheit: Erste Annäherung an eine komplexe Beziehung

Stress kann glücklich machen, aber auch zu echter emotionaler Überforderung führen. Dabei ist es nicht leicht, genau zu beurteilen, worin die Auslöser und wechselhaften Reaktionen von Stress liegen. Wieso eigentlich?

Wissen Sie, was Videoscribing ist? Videoscribing ist die Kunst, mit möglichst wenigen (zumeist) gezeichneten animierten Bildern zu erklären, wie komplexere Prozesse funktionieren. Diese Methode eignet sich sowohl für Geschäftsfelder als auch für digitale Wissenskommunikation. Mit Videoscribing können Sie beispielsweise als selbstständige Person im Bereich der Demenzberatung erklären, wie diese Beratung funktioniert, und wie man sich einen solchen Beratungsprozess vorstellen kann. Das macht die spezifische Beratungsleistung für potentielle Kunden definitiv transparenter und nachvollziehbarer.

Besonders spannend ist Videoscribing aber im Wissenschaftskontext. Nehmen wir als Beispiel die RSA-Animate Serie: Hier werden komplexe wissenschaftliche Phänomene auf sehr anschauliche und ansprechende Art gehirn-gerecht kommuniziert, etwa: “Das Phänomen der Zeit”.

Für meinen heutigen Beitrag in der Reihe “Das ABC der Emotionen” habe ich mir ein Videoscribing-Beispiel zum Stressphänomen herausgepickt. Warum? Auf der einen Seite klagen sehr viele Menschen hierzulande in Gesundheitsberufen über zu viel Stress, auf der anderen Seite ist überhaupt nicht klar, worüber sie eigentlich klagen. Das hängt damit zusammen, dass Stress ein komplexes Phänomen ist, denn die Ursachen für zu viel negativen Stress hängen sowohl mit sozialen, kognitiven als auch genetischen Faktoren zusammen.

Beispiel für Komplexität: Die Frage nach der Widerstandsfähigkeit

Ein gutes Beispiel für die Komplexität von Stress ist die derzeit recht populäre Ansicht, dass der eine eben besser mit Krisen umgehen könnte, während der andere dagegen ein Problem damit hat. Das behaupten aktuell zumindest zahlreiche Resilienz-Forscher, also solche Wissenschaftler, die sich mit der Frage beschäftigen, wie widerstandsfähig ein einzelner Mensch ist. Dabei ist die psychische Widerstandsfähigkeit, wie etwa der US-amerikanische Psychologe George Bonanno zusammen mit seinem Forschungsteam im Zusammenhang von Trauererfahrungen festgestellt hat, keine Charaktereigenschaft, sondern ein Resultat. Bonanno hat damit bereits einen Paradigmenwechsel in der internationalen Resilienz-Forschung eingeleitet. Siehe dazu auch: “Project to Understand Reactions to Loss” (“Projekt zum Verständnis von Verlustschmerz und Trauer”).

Mir leuchtet das jedenfalls mittlerweile vollkommen ein: Wenn eine einzelne Person aufgrund einer Krisensituation einmal über einen längeren Zeitraum in die psychische Schieflage gerät (etwa bedingt durch eine Trauererfahrung), kann nicht alleine nur die Persönlichkeit bzw. der Charakter dafür verantwortlich gemacht werden oder die Gene. Es geht stattdessen um ein komplexes Wechselspiel bestehend aus sozialen, kognitiven und genetischen Faktoren. Wie sieht es zum Beispiel mit dem sozialen Umfeld und der Familie aus? Haben wir gute Freunde, Menschen auf die wir uns in Krisenzeiten verlassen können? Und haben wir überhaupt die nötigen finanziellen Mittel, um aus der Krise (hoffentlich relativ heil) wieder herauszukommen?

Wir haben bereits in unserem Interview mit dem Psychobiologen und Berater Jörg Killinger über Stress in der professionellen Pflege gesprochen und dabei bereits verschiedene wissenschaftliche Perspektiven kennengelernt, unter denen man Stress als Phänomen genauer betrachten kann, um beispielsweise mehr Bewusstsein für einzelne Lösungsansätze bei kritischen Fällen in der Versorgungspraxis zu entwickeln. Auch hier ging es um Komplexität. Wer zum Beispiel danach fragt, wie Stress vererbt wird, hat eine andere Brille auf als diejenige Person, die ein Problem mit zu viel emotionaler Nähe in der professionellen Pflege hat, etwa im Umgang mit Menschen mit Demenz. Im oberen Bild sind diese unterschiedlichen Perspektiven ebenso angedeutet: “Stress is very complex” (“Stress ist sehr komplex”).

Verschiedene Perspektiven auf Stress

Folgende Szene: Treffen sich drei Personen aus dem Gesundheitssektor. Sagen wir eine Ärztin, eine Pflegeperson und ein Wissenschaftler. Nehmen wir weiter an, dass sie miteinander über Stress in ihrem Berufsalltag diskutieren. Nehmen wir außerdem an, dass sie nach möglichen Ursachenquellen fragen. Welche Perspektive werden Sie wohl jeweils einnehmen?

Der Ärztin geht es wahrscheinlich um die Frage, ob der Patient gesund oder nicht gesund lebt und sie fragt dementsprechend nach “Worse Health Outcomes” (“Negativen Gesunheitsfaktoren”). Wie sich jemand ernährt oder im Alltag bewegt, sind dabei sehr häufig auftretende ärztliche Fragen. Dazu kommen Faktoren, die auf die “Lebensqualität” im negativen Sinne einwirken (“Worse Quality of Life”). Dazu gehören auch der Mißbrauch von “Alkohol & Drogen” (“Alcohol & Drugs”) oder gar psychische Störungen wie “Depression & Angst” (“Depression & Anxiety”). Für den letzten Bereich wird die Ärztin aber vermutlich bereits einen Psychologen hinzuziehen oder einen Psychiater empfehlen, je nachdem wie stark die Störung ausfällt. Dies ist zumeist dann der Fall, wenn der Gebrauch von einzelne Medikamenten auf Seiten der Patienten im Sinne einer Therapie alleine wenig erfolgsversprechend ist.

Der Pflegeperson geht es im Vergleich zur Ärztin wahrscheinlich eher um die Frage, wie Probleme im Alltag von Klienten oder Personen mit Demenz behoben werden können (“Problem Solving Skills”), um deren Alltagsfähigkeit zumindest noch in Teilbereichen zu bewahren. Dabei tritt zum Teil ein hoher emotionaler Belastungsgrad auf, beispielsweise im Umgang mit Tod und Trauer in der Pflege von Menschen mit Demenz, und damit durchaus auch relativ viel negativer Stress. Fehlt es zudem an Distanz, an kontrollierter Empathie (bzw. kontrollierte Kognition), kann der Stresspegel auch schon einmal ein kritisches Maß überschreiten. In diesem Zusammenhang stellt sich ebenso die Frage, wie es um die eigene persönliche emotionale Empfindsamkeit steht (“Vullnerability”) oder um die Art und Weise, wir wir mit negativem Stress umgehen (“Coping” im Sinne von “Bewältigungsstrategie”). Dabei vergessen Pflegende leider recht häufig in der Praxis, wie wir aus der Forschung wissen, dass auch sie ein echtes Problem mit zu viel negativem Stress haben können. Das bedeutet also tendenziös, dass professionell Pflegende in puncto Selbstpflege zu wenig an sich selbst denken (“self-care deficit”) und dass das “Selbspflegedefizit” im Umkehrschluss zu stark auf jene Personen bezogen wird, für deren Pflege wir im professionellen Sinne verantwortlich sind.

Den Wissenschaftler wird es möglicherweise um die Frage gehen, welche Erkenntnisse insgesamt zum Umgang mit Stress in der Gesundheitsforschung existieren. So könnte er ein “Report” zu dieser Frage publizieren, in dem ein Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zum Umgang mit Stress in Gesundheitsberufen gegeben wird, beispielsweise aus der Sicht der Neurobiologie und Genetik. Er könnte aber auch darüber informieren, inwieweit die Demenz- und Versorgungsforschung dazu einen eigenen Beitrag leisten kann, der so in der Neurobiologie und Genetik nicht vorzufinden ist. Ganzheitliche Stressforschung bedeutet, verschiedene Forschungsperspektiven auf eine spezifische Fragestellung in Zusammenhang mit Stress zu werfen. Menschen mit Demenz, die zusätzlich an Depression leiden, stehen stark unter Stress. Das wissen wir aus der Forschung. Und wir wissen aus der Forschung, dass lang anhaltender Stress ebenso zu hormonellen Veränderungen führen kann. Siehe zu diesem Zusammenhang auch folgenden Link: Stressforschung, Hormone und Depression.

Bei Menschen mit Demenz könnte man diesen Zusammenhang jetzt beispielsweise sowohl in pflegewissenschaftlicher als auch biochemischer Hinsicht untersuchen. Der Pflegewissenschaftler führt etwa Befragungen mit Betroffenen und pflegenden Angehörigen durch (qualitativ/quantitativ) und wertet diese später empirisch aus. Der Biochemiker misst dagegen mit seinen Instrumenten anhand einzelner Betroffener zu unterschiedlichen Zeitpunkten, inwieweit hormonelle Veränderungen vorliegen, vorausgesetzt, dass diese Art von Forschung in ethischer Hinsicht zugelassen wird ;-) Später werden diese beiden Forschungsansätze dann in ihren Resultaten weiter diskutiert und zum Teil auch möglicherweise miteinander verglichen.

Zu viel Stress? Woran liegt das?

Genau mit dieser Frage werden wir uns in dem nächsten Beitrag zu dem Phänomen Stress beschäftigen, allerdings aus ungewöhnlicher Perspektive: Sie werden zunächst die Geschichte vom Hammermann von Paul Wazlawick kennenlernen. Außerdem werden noch weitere Beiträge zum Thema Stress folgen, in denen verschiedene Lösungsansätze und Methoden zur Stressbewältigung präsentiert werden, deren positive Effekte vielfach wissenschaftlich überprüft und bestätigt worden sind.

Eine solche Methode ist die “Kognitiven VerhaltensTherapie” (KVT). Diese wird insbesondere dazu eingesetzt, negative Verhaltensmuster durch andere (möglichst positive) Verhaltensmuster zu ersetzen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Stress vielfach zuallererst im Kopf entsteht und dann auf den Körper und spezifische soziale Verhaltensweisen einwirkt. Beispiele sind stärker ausgeprägte und wirklich behindernde Ängste (etwa stark ausgeprägte Prüfungsangst), Depressionen, chronische Schmerzen oder Abhängigkeit von Alkohol.

Zum Schluss: Wann bescherte Ihnen Stress zuletzt echte Glücksmomente?

Ich zähle auf Sie! Empfehlen Sie uns in Ihren sozialen Netzwerken weiter und sprechen Sie mit anderen Menschen über ihre Stresserfahrungen. Ganz wesentlich: Wechseln Sie einmal die Perspektive dabei! Wann bescherte Ihnen Stress beispielsweise zuletzt echte Glücksmomente?

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: www.youtube.com/watch?v=16402QJp52M

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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