Das Demenzei des Monats: Ihre Stimmen zum Thema Langeweile

Langeweile ist ein wichtiges Thema in der Pflege von Menschen mit Demenz. Denn das Thema verweist auf die Frage nach sinnvoller Beschäftigung. In unserem abschließenden Beitrag zu diesem Schwerpunkt haben wir Ihnen zwei Fragen gestellt: Erleben Sie bei Menschen, die Sie betreuen, Langeweile? Und welche Strategien wenden Sie an, um Langeweile bei Menschen mit Demenz zu reduzieren?

In den letzten Wochen gab es zahlreiche Beiträge zum Thema Langeweile auf unserem Blog: etwa Literaturempfehlungen zu diesem Thema, weitere Beiträge, in denen auch die Frage aufgeworfen worden ist, wo der Zusammenhang zu sinnvollen Beschäftigungsangeboten besteht, zu der Art und Weise, wie Pflegeeinrichtungen mit diesem Thema umgehen, und schließlich gab es obendrein noch eine dreiteilige Video-Reihe mit dem Philosophen und Demenzexperten Christian Müller-Hergl.

Vorausgegangen war unser Videodiskussions-Format “Das Demenzei des Monats”.

In unserem Demenzei hatten wir Ihnen vorab zwei Fragen gestellt:

  1. Erleben Sie bei Menschen, die Sie betreuen, Langeweile? Und wenn ja, was sind die Ursachen dafür?
  2. Welche Strategien wenden Sie an, um Langeweile bei Menschen mit Demenz zu reduzieren?

Ihre Antworten zur ersten Frage

Wenn wir über Erfahrungen mit Langeweile in der professionellen Pflege berichten, sollten wir nicht vergessen, über welche organisationalen Rahmenbedingungen wir sprechen. Das konnten wir aus Ihren Antworten entnehmen.

Im Krankenhaus erleben wir beispielsweise häufig mehr die Extreme; das unterscheidet sich tendenziös von Pflege- und Altenheimen. Während die Aufnahme im Krankenhaus “oft hektisch verläuft und viele Ansprachen erfolgen, nehmen diese nach der Aufnahme wieder recht zügig ab”. Das Extrem besteht in dieser Situation darin, dass Menschen mit Demenz, die im Krankenhaus aufgenommen werden, durch die Aufnahme zunächst emotional sehr aufgebracht sind, während diese Situation häufig ziemlich abrupt in eine Phase der Versorgung mündet, in der bei vielen Menschen der Eindruck entsteht, nicht mehr gebraucht zu werden, wenn es nicht gerade um einzelne Untersuchungen oder um die Verabreichung von Medikamenten geht.

Erkennbar ist auch, so schreiben Sie uns weiter, dass in der institutionellen Versorgung relativ schnell Barrieren entstehen, “welche sich hemmend auf die Pflege und Betreuung von Patienten mit einer Demenz auswirken”. “Wir – die Pflegenden – haben nur sehr wenig Zeit, oder nehmen uns diese nicht ausreichend, um uns mit diesen Menschen zu beschäftigen und sie näher anzusprechen. So ist die Körperpflege am Morgen beispielsweise zeitlich immer recht knapp bemessen. Auch die Zeit für Nahrungsaufnahme ist häufig nicht ausreichend. Statt Anleitung zur Nahrungsaufnahme geht es eher um das schnelle Verabreichen der Nahrung.” Wesentlich in diesem Zusammenhang scheint auch zu sein, dass sich andere Bewohner und Mitpatienten innerhalb einer Pflegeeinrichtung schnell beschweren können, wenn ein an Demenz erkrankter Mensch im selben Zimmer liegt.

Wenn “herausfordernde Verhaltensweisen” wie unter anderem Aggressionen überwiegen, so lauten zum Teil Ihre Erfahrungen, werden die Personen mit Demenz recht schnell in ein Einzelzimmer verlegt oder mit anderen Personen zusammengelegt, die ebenso von Demenz betroffen sind. Dabei wird die Langeweile bei diesen Personen stetig zunehmen, während von den professionell Helfenden ein gewisses Vermeidungsverhalten praktiziert wird, in dem man an jenen Stellen schnell zur Separation übergeht, wo einzelne Verhaltensweisen als störend empfunden werden. “Aber was verändern, für den Menschen, das können nur die wenigsten”, so Ihr subjektiver Eindruck.

Ihre Antworten zur zweiten Frage

Strategien im Umgang mit Personen mit Demenz gibt es sicherlich zahlreiche, wenn es darum geht, die Qualität von Beziehungen zu verbessern, mehr Zeit für die Pflege aufzuwenden, aber auch selber vielleicht anders mit Stress umzugehen.

Um Langeweile mehr zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, Menschen mit Demenz bewusst in Mehrbettzimmern unterzubringen, damit diese nicht alleine sind. Auch längere Gespräche können sinnvoll sein. “Ich versuche, mit meinen Patienten immer Gespräche anzufangen und möglichst viel Zeit mit meinen Patienten zu verbringen. Da gibt es solche Themen wie Fußball bei Männern, um gut ins Gespräch zu kommen, oder Enkel bei Frauen”, so Ihre Erfahrung an dieser Stelle.

Mehr Zeit aufzubringen, ist selbstverständlich auch ein Thema auf der Ebene des Teams. “Wir versuchen im Team Zeiträume zu ermöglichen, wo die Körperpflege in Ruhe stattfinden kann. Des Weiteren versuchen wir, Angehörige dazu zu ermutigen, häufiger bei den Mahlzeiten anwesend zu sein.” Dann gibt es auch solche Maßnahmen wie die Entwicklung von Biografie- und Gewohnheitsbögen, welche die Arbeit erleichtern, aber gleichfalls auch entscheidend dazu beitragen können, genauer zu erfassen, wie einzelne Erfahrungen, Interessen und Vorlieben einer Person aussehen.

“Das Ziel ist es, den Menschen mit seinen Vorlieben zu erreichen, innerhalb der kurzen Zeit am `Bett´. Damit diese Zeiten sich verlängern, haben wir Ehrenamtliche sogar Demenzlotsen extra ausgebildet.” Dann können auch längere Gespräche in separierten Räumen stattfinden, wenn die Demenzlotsen an fünf Tagen in der Woche kommen.” Solche Räume werden als “gute Stube” bezeichnet, weil solche Räume nicht nur der Gemütlichkeit dienen und zum Verweilen animieren, sondern vor allem auch Orte der Begegnung darstellen.

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: Fernando Borges Ferreira

Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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