Demenz und Langeweile – Literatur und Links

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Langeweile und Muße, Langeweile und Rückzug und Langeweile und Aggressivität. In unseren Medientipps spannen wir einen größeren Bogen, um schließlich von der Kultur auf die Wissenschaft zu schließen: Was bedeutet Langeweile im Umgang mit Demenzbetroffenen?

Für Einsteiger:

  • Heute schalten wir aus lauter Angst den Fernseher ein oder kramen unser Smartphone heraus, wenn uns langweilig ist. Im Zusammenhang mit unserem Gedächtnis sprechen Forscher allerdings von einem pfleglichen Umgang, wenn wir zwischendurch bewusst abschalten, um unser Gehirn auf “Leerlauf” zu stellen (siehe dazu auch das beigefügte Erklärvideo). Derartige Zusammenhänge beleuchtet der Kulturjournalist Ulrich Schnabel in seinem herausragenden Werk “Muße: Vom Glück des Nichtstuns”. Schnabel spannt den Bogen von großen kulturellen Geistern und Müßiggängern wie Goethe bis hin zum modernen Menschen, der Muße häufig mit Faulheit verwechselt. Daneben macht der Autor dem Leser die Entschleunigung des Alltags schmackhaft. Während jedoch der Müßiggang für das bewusste Abschalten steht, ist die Langeweile kein bewusst gewählter Zustand, auch wenn unser Gehirn gelegentliche Langeweile durchaus zu schätzen weiß.
  • Im Zusammenhang zur Pflege von Menschen mit Demenz muss ich gerade an folgendes Bild denken: Ein Pflegeheim in Bern, da sitzen die Demenzpatienten in Erste-Klasse-Sesseln und schauen statt aus dem Fenster auf einen Film in Endlosschleife, in dem die Berglandschaft vorbeizieht. Dieses Szenario habe ich aus einem Spiegel-Interview mit dem Pflegeheimleiter und Ethik-Experten Michael Schmieder mit dem Titel “Die sind nicht bescheuert” entnommen. In diesem Interview geht es um den verstörenden Trend, Demenzkranke in einer “falschen” Realität leben zu lassen. Mir kommt dabei im Zusammenhang mit Langeweile noch eine andere Assoziation in den Sinn: “Künstliche Dauerbeschallung als Zwangsmaßnahme”. Wenn wir als professionelle Helfer die Langeweile so wie beinahe alle modernen Menschen als Problem betrachten, wie können wir dann überhaupt zu der Frage vordringen, wann Beschäftigung wirklich sinnvoll ist? Ich finde, dass ist eine bemerkenswerte Frage in der heutigen Zeit.
  • Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen Langeweile und Aggressivität. Manche Katzen sind unberechenbar, kratzen, beißen und fauchen plötzlich, wenn ihnen allzu langweilig wird. Und was für Katzen gilt, gilt auch für das Tier Mensch, wie schon Konrad Lorenz wußte. Menschen mit Demenz sind zuweilen auf unsere Hilfe angewiesen, wenn es um Beschäftigung geht. Wenn wir uns aber nicht um diese Menschen kümmern und sie in ihren Aktivitäten unterstützen, können sie auch aggressiv werden. Die nächste Stufe wäre dann der Rückzug, die Apathie. Tagesstruktur, Normalität und Abwechslung sind wichtige Stichworte, wenn es darum geht, Aggressivität und Apathie im Pflegealltag zu reduzieren.

Für Fortgeschrittene und Wissenschaftler:

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: Akbar Simonse / www.flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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