Das Ende eines Lebens mit Demenz: Interview mit Katja Hörter

Katja Hörter pflegte ihre demenzkranke Großmutter bis ans Lebensende. Über das letzte Jahr schrieb sie Tagebuch. Beinahe ein Jahr lang haben wir dieses Tagebuch bis zum 18. Mai 2014 auf diesem Blog veröffentlicht. Im Interview wollten wir noch einmal von der Autorin wissen, wie Hörter mit zunehmendem zeitlichen Abstand über ihr Demenztagebuch denkt.

Frau Hörter, vor etwa einem Jahr haben wir begonnen, ihre Tagebucheinträge auf den Seiten des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) zu veröffentlichen. Noch einmal von Beginn an: Warum war es während der Zeit der Pflege Ihrer Großmutter wichtig für Sie, ein solches Tagebuch zu schreiben? Würden Sie dies auch anderen Pflegenden empfehlen?

Ich war irgendwann einfach nur noch verzweifelt, weil ich nicht verstehen konnte, was in meiner Oma vor sich ging. Meine Hilflosigkeit ließ mich mit dem Schreiben beginnen. Denn ich habe schon früher die Erfahrung gemacht, dass es mir hilft, durch das Schreiben Abstand zu meinem Erleben zu gewinnen. Natürlich hatte ich auch die Hoffnung, dadurch eine Lösung zu finden. Diese Lösung sieht nun allerdings anders aus, wie ich es mir zunächst erhofft hatte: Ich habe kein Heilmittel für Oma gefunden, sondern eines für mich selber, vor allem bedingt durch den Abstand, der durch das Schreiben aufkam.

Sie haben sich Jahre nach dem Schreiben des Tagebuchs dazu entschieden, das Tagebuch zu veröffentlichen. Zunächst ist ja das Schreiben eines Tagebuches etwas sehr Intimes.  Was hat sie dazu bewogen, Ihre Gedanken mit unserer Hilfe zu veröffentlichen?

Ich habe bei der Arbeit in einem Pflegeheim festgestellt, dass meine Oma gar nicht so “wunderlich” war. Ich hatte im Pflegeheim viel mit dementen Menschen zu tun. Und ich erlebte aus der Distanz einer Sozialarbeiterin unheimlich schöne, innige, dramatische und auch wirklich lustige Episoden. Und die habe ich ebenfalls aufgeschrieben.

Was mich schließlich dazu bewogen hat, meine Erlebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, war das gelernte Verständnis für diese Krankheit, die man vielleicht auch als Zeitkrankheit bezeichnen kann. Ich wollte diese Erfahrungen einfach mit der Öffentlichkeit teilen. Als besonders wichtig empfinde ich dabei, dass wir alle, die wir mit Dementen arbeiten, so unendlich viele Fragen haben. Gerade Angehörige, die durch Gefühle viel stärker involviert sind, brauchen das Verständnis der Professionellen.

Sie haben Ihr Tagebuch vor der Veröffentlichung nochmals durchgelesen und zum Teil notwendigerweise anonymisiert. Wie war das für Sie, mit einem vierjährigen Abstand das Geschriebene nochmals zu lesen? Haben Sie vielleicht einiges gefühlsmäßig nochmals durchlebt?

Während ich das Tagebuch überarbeitet und abgetippt habe, wurde mir bewusst, was ich mit meiner Oma alles mitgemacht habe. Ich hatte manchmal Mitleid mit mir, weil ich spürte, unter was für einem Druck ich gestanden habe. Wie allein ich mich mit all diesen Erfahrungen gefühlt habe.

So wollte Oma beispielsweise an ihrem letzten Lebenstag noch unbedingt Kartoffelsalat essen. Ich habe ihr den Gefallen getan. Für sie war es wahrscheinlich schön, aber für mich bedeutete das auf der anderen Seite eine große Angst. Nämlich die Angst davor, dass ich in Omas Todesstunde etwas falsch gemacht habe, dass sie womöglich an ihrem Kartoffelsalat erstickt ist − das war wirklich schlimm. Aber die Sterbebegleitung im Heim hat mir dann später doch gezeigt, dass es richtig war, ihr diesen Wunsch mit dem Kartoffelsalat zu erfüllen.

Wie wir den Aufrufzahlen unserer Web-Seiten entnehmen können, wurde das Tagebuch weit über 1.000 Mal angeklickt und gelesen. Allerdings gab es wenig öffentliche Diskussionen über die Inhalte und kaum persönliche Rückmeldungen an Sie. Hätten Sie sich mehr direkte Resonanz gewünscht?

Ich kam mir ein wenig wie eine Ruferin im Internet-All vor. Keiner hört mich. Aber das ist sicher auch die Eitelkeit oder der Wunsch, dass wenn man sich schon traut, derartige intime Erfahrungen preiszugeben, auch auf mehr direkte Resonanz zu stoßen. Ich hoffe, dass zumindest die ein oder andere Pflegeperson durch mein Tagebuch etwas mehr Distanz zum eigenen Erleben gefunden hat. Und auch mal mitlachen konnte.

Wir können Ihnen sagen, dass auch wir vom DZD Ihr Tagebuch unabhängig voneinander intensiv gelesen und diskutiert haben. Insbesondere die authentische und unverblümte Weise zu schreiben, hat uns über diesen – im Internetzeitalter – langen Zeitraum gefesselt und zum Miterleben gebracht. Offenbar ist es – den Zahlen nach zu urteilen – vielen so gegangen. Was ist das für ein Gefühl, wenn die eigenen Gedanken von so vielen Menschen geteilt werden?

Es ist schön.

Liebe Frau Hörter, das Team vom Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) dankt Ihnen für den Mut und Ihre Offenheit und eine von Ihnen gelebte Kultur des Teilens, die so sicherlich nicht selbstverständlich ist. Von uns allen alles Gute für Sie!

Das Interview führte Detlef Rüsing.

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: Mark L. Edwards / www.flickr.com

Katja Hörter ist studierte Sozialarbeiterin und Kunsttherapeutin und schrieb als Autorin für den Blog des Dialog- und Transferzentrums Demenz (DZD) über die Pflege ihrer demenzkranken Großmutter in ihrem letzten Lebensjahr (zwischen 2009 und 2010). Die Reihe wurde auf dem Blog des DZD im Juni 2013 begonnen und im Mai 2014 abgeschlossen. Hier der Link zu allen Einträgen aus dem Dementagebuch von Katja Hörter. Kontakt: katjahoerter@yahoo.de.

Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.

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