Warum diskutieren wir aktuell so viel über Inklusion? Wir sind doch im Grunde genommen alle einer Meinung: Oder kennen Sie jemanden, der gegen mehr gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Demenz ist? Wie kommt es dann, dass wir derzeit so kontrovers über dieses Thema diskutieren?
Am 6. Mai 2014 hat Detlef Rüsing (Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz) in seinem Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Landesinitiative Demenz-Service NRW die Gelegenheit genutzt, einmal dem Widerspruch nachzugehen, der mit der Diskussion zur Inklusion zusammenhängt.
Die Diskussion zur Inklusion: Mehr Teilhabe von Menschen mit Demenz
Seit einiger Zeit wird in den Medien viel über Inklusion diskutiert, etwa im schulischen Milieu. Kinder mit und ohne Handicap ganz selbstverständlich miteinander lernen zu lassen, wer möchte das nicht? Wo liegt dann das Problem? Inklusion oder gesellschaftliche Teilhabe war auch der thematische Schwerpunkt der Jahrestagung der Landesinitiative Demenz-Service NRW, die am 6. Mai 2014 in der Stadthalle Wuppertal ausgetragen wurde.
Es ging um mehr gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Demenz, beispielsweise über solche Wohnformen wie ein Demenzquartier, wo Menschen mit Demenz mit anderen Menschen in sozialen Gemeinschaften zusammenleben sollen. Die Veranstaltung “Teilhabe gemeinsam gestalten” war zugleich mit dem 10-jährigen Jubiläum der Landesinitiative Demenz-Service NRW verknüpft. Teilhabe gemeinsam mit den Betroffenen, ihren Angehörigen und den zahlreichen Partnern der Landesinitiative zu gestalten, ist seit zehn Jahren Kernbestandteil der Arbeit in der Landesinitiative Demenz-Service NRW. Dabei diente der Aufhänger der Veranstaltung auch als Vorlage zur Diskussion: Wie lassen sich Menschen mit Demenz besser sozial und kulturell integrieren?
Zu dieser Frage äußerten sich die Referenten dieser Tagung. Diskutiert wurden verschiedene sozialpolitische und wissenschaftliche Aspekten der Teilhabegestaltung. Gäste und Referenten waren u. a. Barbara Steffens − NRW-Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter − sowie Prof. Dr. Andreas Kruse − Leiter des Instituts für Gerontologie (IfG) der Universität Heidelberg.
Ein Paradigmenwechsel: Verschiedene Wohnformen für verschiedene Phasen der Demenz
https://www.youtube.com/watch?v=ABxhkPCm78Q
Detlef Rüsing − Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) − beleuchtete die Frage nach der Teilhabe aus wissenschaftlicher Sicht. Dabei ging es ihm vor allem darum, näher auf den Widerspruch einzugehen, der zwischen dem Wunsch nach mehr Teilhabe von Menschen mit Demenz und der Diskussion dazu aufklafft.
“Das Problem bei der Inklusionsdebatte ist folgendes: Sie finden keinen, der gegen mehr Geld und Betreuung in der Pflege ist und gegen gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion”, so Rüsing. Wieso diskutieren wir dann so viel über dieses Thema?
Laut Rüsing hat in den letzten Jahren beinahe unbemerkt ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Für verschiedene Phasen der Demenz muss es auch verschiedene Wohnformen geben. Das ist neu. Damit werden solche traditionellen Modelle wie das Altenheim als einzige Lösung, wenn ein Pflegeproblem besteht, grundlegend hinterfragt. Zu den traditionellen Modellen kommen Demenz-WGs oder Demenzdörfer und andere Möglichkeiten. Der Paradigmenwechsel ist aber noch nicht abgeschlossen. Es ist noch nicht klar, wie die Versorgung in der Zukunft konkret aussehen wird, welche Wohnformen sich durchsetzen werden und wie all diese Dinge von der Politik, der Gesellschaft und der Wirtschaft getragen werden sollen.
Der Beitrag von Rüsing war an diesem Tag daher auch die Basis für die Anschlussdiskussion. Es wurde über alternative Wohnformen für Menschen mit Demenz diskutiert: “Zwischen Demenzquartier und Gastfamilie” − so der Titel im Programm. Diese Wohnformen stehen für eine Versorgung mit deutlich höherer Beschäftigung und sozialer Beteiligung von Menschen mit Demenz. Dabei stellt sich so ähnlich wie im Schulalltag die Frage, wie verschiedene Menschen mit und ohne Handicap besser miteinander leben können, und wie ein derartiges Ideal in der Wirklichkeit praktisch umgesetzt werden kann.
Hier der Link zu verschiedenen Video-Vorträgen im Rahmen der Jahrestagung 2014: http://www.demenz-service-nrw.de/dokumentation-938.html. Sie finden hier auch Videos, in denen die veschiedenen Wohnformen für Menschen mit Demenz näher vorgestellt werden, etwa das Modellprojekt Gastfamilie. Auf der Suche nach neuen Betreuungsformen für Menschen mit Demenz startete die Diakonie in Düsseldorf in diesem Jahr dieses Projekt. Sie sucht Gastfamilien, die demenzkranke Menschen in ihren Haushalt aufnehmen. Das DZD begleitet dieses Projekt wissenschaftlich.
Quellenangabe zumTitelfoto:
Foto: Tom / www.flickr.com
Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de