Wieso sollten Organisationen im Gesundheits- und Pflegebereich Wissen teilen? In diesem Beitrag beschäftigen wir uns aus der Sicht des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) mit der Frage, inwieweit Organisationen davon profitieren, Wissen mit anderen Personen und Organisationen über soziale Medien zu teilen.
Rückblick nach vorne bezieht sich auf die Perspektive: Seit Ende 2012 lautet mein Auftrag, die traditionellen Möglichkeiten in der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Demenz- und Versorgungsforschung durch weitere digitale Möglichkeiten zu ergänzen, wie sie insbesondere soziale Medien im Internet bieten (u. a. Facebook und Twitter). Dabei ist bei dem Thema Wissenskommunikation immer ausschlaggebend, um was für eine Art von Unternehmen es sich handelt, das auf eine solche Kommunikation setzt.
Im Falle des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) handelt es sich um ein Institut, das inneruniversitär am Department für Pflegewissenschaft der Privaten Universität Witten/Herdecke angesiedelt ist. Der Fokus liegt beim DZD auf Forschung und in besonderem Maße auf den Transfer dieses Forschungswissens in die professionelle Pflegepraxis.
Wozu “kostenlos” Pflegewissen teilen?
Bezogen auf den Transfer von Pflegewissen in die professionelle Praxis stellt sich zunächst für jedes Unternehmen in diesem Sektor die Frage, inwieweit einzelne Pflegethemen zugleich auch mit anderen Personen und Organisationen in der Form von kostenlosen Inhalten (im Netz und anderswo) geteilt werden sollten. Wenn Sie z. B. als einzelne Institution im Pflegebereich Lösungskonzepte und Modelle für die Arbeit mit älteren Menschen entwickeln und einzelne Ihrer Kompetenzen und Fachgebiete um die Frage kreisen, wie sich Lösungskonzepte und Modelle für die Arbeit mit älteren Menschen besser in die Praxis integrieren lassen, dann kann Ihre Wissensstrategie darin bestehen, über die Verbreitung von Wissen im Social Web mehr auf Ihre Expertise aufmerksam zu machen.
Reich werden, indem man etwas kostenlos abgibt, ist für viele Personen und Organisationen im professionellen Gesundheitsbereich allerdings nach wie vor (noch) ein Widerspruch. Das Vorurteil lautet, dass Wissen, welches kostenfrei verbreitet wird, kein qualitativ hochwertiges Wissen sein kann. Wir erleben aber seit vielen Jahren im Internet eine Entwicklung, die für die Auflösung dieses Widerspruchs steht: Im Internet können wir gut beobachten, dass sich das Teilen von hochwertigem Wissen und das Anbieten von kostenpflichtigen Zusatz- und Beratungsleistungen (wenn wir von wissensintensiven Dienstleistungen sprechen) eben nicht gegenseitig ausschließen. Überhaupt beobachten wir schon seit vielen Jahren die Wende zur Wissensgesellschaft. Das ist nicht ein leeres Gerede von irgendwelchen Akademikern. Das ist längst Realität.
Bereits im Jahre 2011 waren rund 74 % der Erwerbstätigen in Deutschland im Dienstleistungssektor beschäftigt. Zuwächse gegenüber dem Vorjahr erzielten insbesondere unternehmensbezogene Dienstleister. Der Anteil der Dienstleistungen an der Bruttowertschöpfung lag damit 2011 bei sagenhaften 69 %. Wobei noch danach zu fragen wäre, wie hoch der Anteil an wissensintensiven Dienstleistungen ausfällt. Bezieht man diese Frage auf wissensintensive Dienstleistungen im Bereich der Versorgung von Menschen mit Demenz, so lässt sich sicherlich sagen, dass der Anteil dieser Dienstleistungen (etwa wissensintensive Beratungsangebote) in den kommenden Jahren noch stark ansteigen wird. Das hängt u. a. damit zusammen, dass im Bereich der professionellen Demenzversorgung viele Fachkompetenzen gefragt sind, die auf speziellem Wissen basieren.
Das Vorurteil, dass Wissen, welches kostenfrei verbreitet wird, kein qualitativ hochwertiges Wissen sein kann, wird in Zukunft – insbesondere wenn wir von Wissenskommunikation im Internet sprechen – immer weniger gelten, insbesondere bei solchen Unternehmen, die über dieses Wissen andere kostenpflichtige Leistungen verkaufen. So schreibt beispielsweise Dr. Kerstin Hoffmann in ihrem Buch “Prinzip Kostenlos. Wissen verschenken – Aufmerksamkeit steigern – Kunden gewinnen”, dass es darauf ankommt, zunächst einmal Wissen über die richtigen Kanäle an die richtigen Empfänger zu bringen, um über diese Art von Wissenskommunikation auf hochwertige Leistungen aufmerksam zu machen, die kostenpflichtig sind.
Das ist an sich ein Prinzip, das wir alle aus der Wirtschaft kennen: So kann man beispielsweise im Verlagsbereich seit einigen Jahren beobachten, dass immer mehr Inhalte kostenfrei im Internet verbreitet werden, um auf das eigentliche Produkt aufmerksam zu machen. Zu einem kostenpflichtigen Buch gibt es dann zudem die Leseprobe und weitere Videos, etwa eine Vorlesung des Autors und/oder ein Interview mit dem Verfasser, welches auch auf YouTube betrachtet werden kann usw. Hier ein Beispiel: Der Online-Auftritt zum Roman “Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft”, veröffentlicht vom Suhrkamp Verlag.
Wissen, das auf der Ebene der Organisation weiter im Social Web verbreitet werden soll, beinhaltet außerdem noch einen anderen Vorteil, wenn Sie sich als Organisation ernsthaft darauf einlassen wollen. Wir erfahren auf diesem Wege einfach mehr über ein Unternehmen und die Menschen, die dort arbeiten, etwa über “Corporate Blogs”. Unter “Corporate Blogs” versteht man Websites und Aktivitäten von Unternehmen im Internet, die insbesondere auf soziale Medien wie u. a. Blogs, Facebook und Twitter in der Kommunikation mit ihren Kunden setzen. So gibt es beispielsweise Redaktionen, die von einzelnen Mitarbeitern gegründet werden, um online eigene Erfahrungen und viele spannende Unternehmensgeschichten mit Kunden auszutauschen. Das kann eine hervorragende Möglichkeit darstellen, über typische Unternehmenskommunikation und Produktmarketing hinauszugelangen. In einer Zeit, wo es konventionelle Werbung immer schwerer hat, überhaupt noch wahrgenommen zu werden, sind logischerweise auch immer mehr solche Strategien gefragt, die auf indirekte Werbeeffekte zielen.
Nehmen wir ein Beispiel: das Yellow Bloghaus. Es geht um Stromversorgung und die Stromversorgung in der Zukunft. Und die Stromversorgung in der Zukunft steht insbesondere in Deutschland bis zum Jahre 2025 (und darüber hinaus) für eine ganz besondere Herausforderung, wenn wir hierzulande bis dahin tatsächlich auf Atomenergie verzichten wollen. Gerade im Alltag stellen sich für Kunden eine Menge von Fragen: Wie lässt sich beispielsweise der Energieverbrauch von Gebäuden reduzieren? Die Mitarbeiter von Yellow nutzen ihren Corporate Blog u. a. dazu, ihre Kunden über derartige Fragen auf kompetente und zum Teil auch unterhaltsame Weise durch einzelne Blog-Beiträge zu infomieren, ohne permanent auf die eigenen Produkte aufmerksam zu machen.
Marketing findet also hier mehr über die Inhalte statt, auf indirekte Weise, was ja neudeutsch auch als “Contentmarketing” bezeichnet wird. Auf diese Art gewinnt ein solches Unternehmen wie Yellow beim Kunden an Vertrauen und die Bereitschaft nimmt darüber hinaus sicherlicherlich auch beim Kunden zu, nach einer gewissen Zeit einzelne Produkte zu kaufen. Was wir jedoch dabei nicht vergessen sollten, ist die Tatsache, dass derartige Online-Aktivitäten auch viel Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen. Und Unternehmen müssen außerdem die Bereitschaft dazu zeigen, Wissen mit anderen Menschen zu teilen und nicht zu horten. Das ist ganz wesentlich, wenn derartige Aktionen wie die von Yellow im Corporate-Bereich glaubhaft sein sollen.
Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Was bringen mir diese Erkenntnisse für den Transfer von Pflegewissen in die Praxis? Inwiefern profitieren Organisationen im Gesundheits- und Pflegebereich von solchen Wissensstrategien, die Wissen über soziale Medien in freier Form kommunizieren?
Wissenskommunikation im Social Web: Bisherige Erfahrungen beim DZD
Wir können das Beispiel von Yellow auch auf den Blog vom Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) beziehen. Der Unterschied besteht im Wesentlichen in zwei Punkten:
- Wir haben keinen speziellen Shop so wie bei Yellow, wo Sie unsere Produkte kaufen können. Wir sind vor allem ein Forschungsinstitut mit dem Schwerpunkt auf den Transfer von Wissen aus der internationalen Demenz- und Versorgungsforschung an professionell Pflegende. Kostenpflichtige Leistungen beziehen sich bei uns eher auf solche Dienste wie wissenschaftliche Literaturrecherchen oder wissenschaftliche Begleitung von Praxisprojekten im Demenzbereich, also Evaluation.
- Wenn wir soziale Medien für den Transfer von Wissen nutzen, dann geht es bei uns vor allem darum, mehr Praktiker aus der Pflege zu erreichen bzw. solche Personen, die mehr im Internet unterwegs sind, etwa die Ur-Enkel von demenzkranken Personen. Es geht somit auch um unterschiedliche mediale Zugangsweisen und Zielgruppen, die wir erreichen wollen, was den Transfer von Wissen anbelangt. Und dafür braucht man eben auch verschiedenartige Medien. Bis Ende 2014 wird der Wissenstransfer über soziale Medien vom DZD noch weiter unter dem Projekt-Titel “Wissenstransfer 2.0″ kultiviert. In finanzieller Hinsicht wäre dieses Projekt allerdings nicht denkbar, wenn wir nicht von dem Pflegeministerium NRW und den Pflegekassen NRW bis Ende 2014 unterstützt werden würden. Die Ausgangssituation ist also in unserem Falle eine ganz andere als bei Yellow.
Warum dieser Vergleich? Wenn Sie ernsthaft in Erwägung ziehen, das Wissen Ihrer Organisation bzw. einzelne Ihrer Kompetenzen durch die Kommunikation im Social Web zu schärfen, dann sollten Sie sich zugleich auch immer zuvor die Frage stellen, welche Ziele und Strategien mit diesem Wunsch verknüpft sind. Es macht einen Unterschied aus, ob Sie Produkte über Wissen bewerben wollen (etwa Demenzfilme, die später kostenpflichtig angeboten werden sollen), oder ob es eher − wie in unserem Falle − um die Kommunikation von Erkenntnissen aus der Forschung geht.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch gewisse Erfahrungen, die wiederum mit Yellow vergleichbar sind. Was ich persönlich beispielsweise für immens wichtig halte, sind bestimmte Probleme, für die Sie Lösungsansätze aufzeigen sollten. Damit binden Sie nämlich Ihre Zielgruppe an Ihr Angebot. In unserem Falle ist beispielsweise die professionelle Versorgung von Menschen mit Demenz schon heute ein gravierendes Problem − und zwar international. Um allerdings bestimmte Probleme anzusprechen und mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen, benötigen Sie außerdem eine gewisse Expertise und spezielle Kompetenzen. Da ist das Wissen Ihrer Mitarbeiter gefragt. Und dann kommt es schließlich noch darauf an, dass Ihre Expertise überhaupt als solche wahrgenommen wird. Dafür ist wiederum viel Kommunikation notwendig und in Zukunft auch immer mehr Kommunikation über das Internet und soziale Medien.
Unser bescheidender Beitrag beim DZD besteht in dieser Gemengelage darin, möglichst nützliche Erkenntnisse aus der Demenz- und Versorgungsforschung zu einzelnen Versorgungsproblemen in der Pflegepraxis aufzuzeigen, und zwar im besten Falle auf eine Weise, die auch bei solchen Menschen ankommt, die selber keine Wissenschaftler sind.
Wenn Sie also erst einmal eine bestimmte Problemstellung erkannt haben, können Sie daran weitere Themen ableiten, etwa wenn Sie schon länger planen, einen Organisationsblog zu pflegerelevanten Themen zu starten.
Und wie gelangt man von einer speziellen pflegerelevanten Problemstellung zu Online-Beiträgen?
In unserem Falle haben wir beispielsweise eine Tagung zum Schwerpunkt Lebensqualität im Oktober 2012 veranstaltet, gefolgt von einer Tagung zum Schwerpunkt Emotionen im Februar 2014. Das erste Problem: Wie lässt sich Lebensqualität bei Demenz bis zu einem gewissen Grad erhalten? Das zweite Problem: Wie können Emotionen in der Demenzpflege erkannt werden, wenn sie beispielsweise nicht mehr über Gesichter von betroffenen Personen lesbar sind? Das sind konkrete Themen und Probleme in der Versorgung von Menschen mit Demenz, zu deren Lösung die Wissenschaft durchaus einen Beitrag leisten kann. Die nächste Frage bestand dann für uns darin, wie derartige Themen über unseren Blog in einzelne Beiträgen umgesetzt werden können und inwieweit diese Beiträge etwa als Vorlage zu Diskussionen in einzelnen Social Media-Kanälen wie Facebook genutzt werden können usw.
Ausblick: Lesen Sie in der abschließenden Folge dieser Triologie am Beispiel unserer zehn beliebtesten Blog-Beiträge, wie wir das wissenschaftliche Wissen über spezifische Versorgungsprobleme in der Demenzpflege bis dato kommuniziert haben.
Quellenangabe zu den Fotos:
Foto: Leon B. Dista / www.flickr.com
Quelle: Statistisches Bundesamt
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de