Rückblick nach vorne: Demenzwissen über Medien vermitteln

Wie gelangt das Wissen aus der Demenzforschung an professionell Pflegende? Welche Rolle spielen dabei soziale Medien? Seit Oktober 2012 beschäftigen wir uns mit diesen zwei Fragen auf diesem Blog und haben inzwischen mehr als 400 Beiträge veröffentlicht und den Agnes-Karll-Pflegepreis gewonnen. Grund genug, die bisherige Entwicklung einmal Revue passieren zu lassen.

Es gibt ein sehr lesenswertes Buch von zwei US-amerikanischen Journalisten: Bernice Buresh und Suzanne Gordon. In der deutschen Ausgabe – herausgegeben von Angelika Zegelin – trägt dieses Buch den Titel “Der Pflege eine Stimme geben: Was Pflegende wie öffentlich kommunizieren müssen”. Schon zu Beginn des Buches weisen die beiden Journalisten nach, dass über Pflege nur selten in den Massenmedien berichtet wird, es sei denn, die Berichterstattung dient der Skandalisierung, etwa “Frau im Pflegeheim ans Bett gefesselt”, oder der Anklage und Aufklärung von Missständen, etwa “Altenpflege im Akkord”. An solchen Stellen wird dann beispielsweise immer wieder gerne darauf hingewiesen, wie schlimm die Zustände in der Pflege sind, wie schlecht die Bezahlung usw. Aber zur Pflege gehört viel mehr als das!

Als ich im Juni 2012 meinen Job als Kommunikationswissenschaftler beim Dialog- und Transferzentrum (DZD) mit dem Schwerpunkt auf Wissenskommunikation im Social Web antrat, musste ich mit Erstaunen feststellen, wie komplex die Welt der Pflege ist und wie stark unser Alltag von Pflegethemen durchzogen wird. Ich selbst komme nämlich ursprünglich nicht aus der Pflege. Wie wichtig die Frage nach der Pflege ist, wird einem erst klar, wenn wir diese Frage an einem Beispiel veranschaulichen. Zugleich stellt dieses Beispiel den Bezug zu unserem Schwerpunkt her: Wissen zu Demenz.

Forschung zu Demenz: Mehr als medizinisches Fachwissen

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich doch einfach mal die Versorgungssituation in der Zukunft vor, sagen wir im Jahre 2050. Im Jahre 2050 wird es weltweit 115 Millionen Demenzkranke und 277 Millionen pflegebedürftige Menschen geben, so die Prognose des Welt-Alzheimer-Berichts für 2050. Überlegen Sie sich einmal plastisch, wie viele Menschen das sind: eine unglaubliche Zahl! Und nun stellt sich auf der Basis dieses Zukunftsszenarios die Frage, wie wir uns diese Versorgungssituation in der Zukunft vorstellen können, welche Probleme auftreten werden und wie wir diese Probleme lösen können.

Der Begriff der “Versorgung” – so die geläufige Auffassung – hat immer etwas mit medizinischer Versorgung zu tun. Aber auch Versorgung ist viel mehr als das! Wenn Menschen zum Pflegefall werden, muss es Personen geben, die sich unter Umständen rund um die Uhr um diese Menschen kümmern. Das können einzelne Familienmitglieder sein, pflegende Angehörige und/oder professionell Pflegende. Die Verabreichung von Medikamenten und einzelne medizinische Therapien machen dabei nur einen Bruchteil des eigentlichen Versorgungsproblemes aus. Wer kümmert sich beispielsweise um Menschen mit Demenz in der Zukunft, wenn in vielen Ländern in Europa immer weniger junge Menschen nachkommen? Welche Pflegemodelle sind in der Zukunft denkbar, wenn traditionelle Modelle plötzlich nicht mehr funktionieren? Wie kann die Lebensqualität von Demenzbetroffenen ein Stück weit erhalten werden, auch wenn die Demenz immer weiter voranschreitet?

Zu solchen Fragen gibt es Forschung und der Schwerpunkt dieser Forschung liegt nicht auf medizinischen Versorgungsproblemen. Es handelt sich dabei um Studien und Erkenntnisse aus der internationalen Demenz- und Versorgungsforschung, in denen zu einzelnen Versorgungsproblemen geforscht wird, die im besten Fall für die Pflege von besonderer Bedeutung sind. Recht häufig ist es allerdings so, dass ein Großteil dieser Studien in englischer Sprache verfasst sind (mehr als 90 %) und dass diese Studien so formuliert sind, dass es für Laien und professionelle Pflegekräfte ohne eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung kaum möglich ist, diese Studien zu übersetzen bzw. den Transfer in die Praxis zu vollziehen.

Was also an der Schnittstelle von Forschung und Praxis gefragt ist, ist die Brücke von der Forschung in die Praxis. Das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) versteht sich vor diesem Hintergrund seit seiner Gründung im Jahre 2005 als vermittelndes Organ. Dabei geht es nicht nur darum, den Transfer von Erkenntnissen aus der Demenz- und Versorgungsforschung an professionelle Praktiker aus der Pflege zu verbessern, sondern ebenso den Transfer von der Praxis hin zur Wissenschaft zu unterstützen. Denn es ist der Transfer in beide Richtungen notwendig – von der Wissenschaft in die Praxis und von der Praxis in die Wissenschaft.

Wissenstransfer 2.0: Die Rolle der sozialen Medien für die Kommunikation von Demenzwissen

In den vergangenen Jahren hat sich zunehmend gezeigt, dass sich das Mediennutzungsverhalten jüngerer und älterer Menschen grundlegend unterscheidet. Während das Internet als Informationsquelle für ältere Menschen so gut wie keine Rolle spielt, ist die Nutzung von Online-Angeboten und sozialen Medien wie etwa Facebook und Twitter für Jüngere selbstverständlich.

Zu den konventionellen Wegen der Wissensvermittlung des DZD zählen unter anderem zielgruppengerechte Publikationen in Form von Vorträgen, Fernseh- und Rundfunkauftritten, Arbeitspapieren und Dialogveranstaltungen. Mit der Ausweitung des Angebots auf Online-Medien wie Blogs, Podcasts und E-Books kann wesentlich besser auf unterschiedliche Bedürfnisse in der medialen Vermittlung und im Austausch von Wissen eingegangen werden. Zudem lassen sich auf diese Weise neue Zielgruppen erschließen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass in der Pflege nach wie vor ein großer Bedarf darin besteht, Erkenntnisse aus der Forschung über Online-Portale und Wissensmedien nutzbar zu machen. Vor diesem Hintergrund beschlossen wir uns dazu, das multimedial konzipierte Projekt “Wissenstransfer 2.0″ auf den Weg zu bringen.

Die Grafik zeigt verschiedene Wissensformate des DZD: Während der Blog alle Formate und Kanäle unter einem gemeinsamen Dach zusammenführt, dienen solche Kanäle wie u. a. YouTube und Facebook dazu, weitere spezifische Möglichkeiten dieser Kanäle für die Wissenskommunikation auszuloten.

Anliegen war es (und ist es), Möglichkeiten aufzuzeigen, die das Internet und soziale Medien für den Wissenstransfer in multimedialer Form bieten. Mittelpunkt dieser Aktivitäten ist der Blog, den Sie gerade lesen und der unter der Adresse www.dialogzentrum-demenz.de abrufbar ist. Auf diesem Blog werden wöchentlich im Durchschnitt zwei bis drei Beiträgen zu aktuellen Themen aus der Demenzforschung sowie weiterführende Informationen zu aktuellen Projekten und Veranstaltungen des DZD publiziert.

Ab Juni 2012 war ich zunächst mit der Konzeption zu diesem Blog und weiteren Online-Aktivitäten des DZD im Social Web beschäftigt. Die Grundlage dazu bildeten einzelne Konzeptbausteine von Detlef Rüsing – Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD). Ende 2012 gingen wir dann zum ersten Mal mit unserem neuen Online-Auftritt ins Netz. In dieser Zeit stand die Frage im Vordergrund, wie das Wissen aus der Demenzforschung via unterschiedlicher Formate breiter im Netz gestreut werden kann, um dadurch noch mehr professionell Pflegende zu erreichen und jüngere Personen, die mit Pflegethemen im Alltag zu tun haben, etwa die Ur-Enkel von recht alten Menschen, die an Alzheimer leiden.

Beispiele für Wissensformate: Der Forschungsnewsletter des DZD

Da ich gegen Ende 2012 mit der Aufgabe betraut wurde, die Streuung von Demenzwissen aus der Forschung durch soziale Medien weiter voranzutreiben, schaute ich mir vorab genauer an, welche Formate beim DZD bereits existierten, die auf dieses Prinzip setzen. So existiert beispielsweise ein Newsletter, der seit der Gründung des DZD im Jahre 2005 in etwa zwei- bis dreimal im Jahr online veröffentlicht wird. Newsletter von Unternehmen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Bemerkenswert an dem Newsletter des DZD finde ich jedoch, dass es sich bei diesem Newsletter nicht um einen klassischen Newsletter handelt, in dem beispielsweise einzelne Produkte beworben werden. Der Schwerpunkt des Newsletters des DZD liegt dagegen auf Vermittlung von Erkenntnissen aus der Forschung, die für die professionelle Plegepraxis von Relevanz sind.

Seit 2005 erfreut sich dieser Newsletter wachsender Beliebtheit und wird mittlerweile von mehr als 1000 Abonnenten gelesen. Frei abrufbar ist er unter dem Link www.blogupdate.uni-wh.de/newsletter-archiv. Der Newsletter wird laut einer Umfrage des DZD sowohl von Pflegefachpersonen, vornehmlich in Führungspositionen, als auch von Wissenschaftlern, Psychologen und Medizinern gelesen. Hinzu kommen Fachpersonen anderer Gesundheitsberufe sowie pflegende Angehörige und sonstige an Pflegethemen interessierte Personen.

Ziel des Newsletters ist es, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Demenzforschung möglichst praxisnah zu vermitteln, damit auch Personen ohne wissenschaftliche Qualifikationen darauf zurückgreifen können. Das DZD erhofft sich davon, den Dialog zwischen Forschung und Praxis nachhaltig zu fördern.

Bei der Erstellung des Newsletters sichtet der Demenzexperte Christian Müller-Hergl zunächst zahlreiche Artikel und Studien aus internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften. In einem zweiten Schritt werden diese nach bestimmten Themen zusammengefasst. Daneben werden einzelne Fachbegriffe vorangestellt und erklärt. Künftig ist geplant, den Newsletter auch als Podcast anzubieten, also in einer kompakteren Audio-Form als Ergänzung bereitzustellen. Das DZD möchte damit dem Anspruch gerecht werden, unterschiedliche mediale Zugangsweisen zu eröffnen.

Fazit: Wenn Sie Ihr persönliches Wissen oder das Wissen derjenigen Organisation im Umlauf bringen wollen, für die Sie arbeiten, stellt sich immer die Frage, auf welche Weise Sie das tun. Ganz entscheidend ist dabei Ihre persönliche Einstellung zur Weitergabe von Wissen. Ein gutes Beispiel dazu sind Unternehmensberater: Früher lebte diese Branche von einer Art von Geheimsprache und die Berater jonglierten dementsprechend mit speziellem Wissen, das eben nicht offen geteilt werden sollte, um den Kult um diese Kaste noch weiter voranzutreiben und die Gagen immer weiter in die Höhe zu schießen.

Viele Menschen, die in der Pflege arbeiten, sind wahrscheinlich so ziemlich das Gegenteil von Unternehmensberatern. Aber die Ausgangsfrage ist trotz aller Unterschiede dennoch bemerkenswert: Sollte man professionelles (Pflege-)Wissen mit anderen Menschen teilen? Sollte man spezielle wissenschaftliche Erkenntnisse, die für die Pflegepraxis von Bedeutung sind, so wie wir das hier beim DZD tun, anderen Personen über soziale Medien “frei” zur Verfügung stellen? Wir denken schon! Aber diese Grundhaltung ist alles andere als selbstverständlich. Denken Sie einmal darüber nach!

Ausblick: In den nächsten beiden Beiträgen dieser Triologie schildere ich Ihnen aus meiner persönlichen Sicht, welche Rolle soziale Medien für das DZD spielen und wie sich die Sichtweise auf diese Medien seit Ende 2012 bis zum heutigen Tag verändert hat. Dabei geht es immer um die Frage, wie die Grundeinstellung zu der Verteilung von Wissen ausschaut. Abgerundet wird diese Triologie durch einen Überblick zu unseren beliebtesten Beiträgen. Da geht es dann beispielsweise in einem Beitrag zum Thema Schreien und Rufen um eine ganz spezielle Herausforderung im Pflegealltag und um das Wissen zu möglichen Lösungsansätzen.

Quellenangaben zu den Titelbildern:

Foto: lisi im wunderland / www.flickr.com

 

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de

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