Was Menschen sozial antreibt: Erkenntnisse aus Psychologie und Hirnforschung_Teil 1

Persönlicher Erfolg hängt nicht nur mit materiellen Werten zusammen, Einkommen und anderen Statussymbolen. Der Mensch ist vor allem ein soziales Wesen. Inwieweit soziales Engagement bei der Verfolgung von persönlichen Zielen eine besondere Rolle spielt, davon handelt diese Serie. Den Startpunkt dazu bilden vier Geschichten von besonders engagierten Menschen.

Jakob von Uexküll und der alternative Nobelpreis

Kennen Sie die Geschichte von Jakob von Uexküll? Uexküll ist Enkel des deutschbaltischen Biologen Jakob Johann von Uexküll, Briefmarkensammler, Schriftsteller und Stifter des “Alternativen Nobelpreises” (Right Livelihood Award). Briefmarkensammler? Sie haben richtig gehört. Seine ehemalige Briefmarkensammlung hängt mit der bewegenden Geschichte um den “Alternativen Nobelpreis” zusammen.

Ursprünglich hatte Uexküll der Nobelstiftung vorgeschlagen, zwei neue Preise zu begründen: einen für die Umwelt und einen für die Rechte der Armen. Dieser Vorschlag wurde von der Nobelstiftung jedoch dankend abgelehnt. Uexküll ließ sich in seinen Ziel allerdings nicht beirren: egal wie groß die äußeren Widerstände auch sein mögen. Also tauschte er seine Briefmarkensammlung, die er geerbt hatte, gegen Geld ein – eine Million Dollar – und verwendete dieses Geld darauf, den Right Livelihood Award zu gründen – den “Alternativen Nobelpreis”: das war im Jahre 1980. Durch den Verkauf von seinen seltenen Briefmarken konnte Uexküll somit den Grundstein für diese herausragende Stiftung legen.

Bei der Erreichung von Zielen spielt nicht nur der Intelligenzfaktor eine Rolle, sondern gerade auch das Durchhaltevermögen. Das finde ich immer wieder bemerkenswert: Schon früh vermuteten Forscher, dass neben Intelligenz sowohl der Wille und das Durchhaltevermögen als auch solche Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, Selbstvertrauen oder auch Beziehungen entscheidend sind.

Später kam dazu auch der empirische Beleg: Angela L. Duckworth von der University of Pennsylvania in Philadelphia führte hierzu 2007 gleich mehrere psychologische Studien durch. Sie untersuchte u. a., was erfolgreiche Schüler von denen mit Schwierigkeiten unterschied, und welche Faktoren neben der Intelligenz dabei ausschlaggebend sind. Die Erkenntnis: Der Schlüssel zum Erfolg? Durchhaltevermögen. Und ohne dieses Vermögen hätte es sicherlich auch Jakob von Uexküll wohl kaum geschafft, den Right Livelihood Award zu begründen.

Siehe dazu auch die deutsche Übersetzung: http://www.ted.com/talks/lang/de/angela_lee_duckworth_the_key_to_success_grit.html.

Die Geschichte von den Hausbesuchen von Stephanie Quitterer

Können Sie sich das vorstellen: Spontane Kaffeekränzchen mit fremden Menschen in fremden Wohnungen? Eine junge Frau aus Berlin, ihr Name Stephanie Quitterer, hatte während ihrer Elternzeit die spontane Idee, fremden Menschen im Berliner Bezirk Charlottenburg Hausbesuche abzustatten. Eine Idee, die mit einem Gedanken verbunden war, den wahrscheinlich viele von uns kennen.

“Ich bin schon früher oft durch die Straßen gegangen und habe mich gefragt, wer hinter den Fenstern wohnt, wie die Menschen sich einrichten, welches Leben sie leben”, erzählt Stephanie Quitterer in einem Interview mit a tempo – das Lebensmagazin .

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie die Nachbarn in Ihrer nächsten Umgebung eigentlich leben? Wirklich wissen tun wir das nämlich in den meisten Fällen nicht. Die nächsten Nachbarn bleiben uns seltsam fremd: Unser Nachbar – das fremde Wesen. Schließlich hat sich Quitterer aus ihrer spontanen Idee heraus ein ehrgeiziges soziales Ziel gesetzt. Sie wollte sich im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg in 200 Tagen bei 200 Nachbarn ihrer Straße, bei ihr völlig fremden Personen zum Kaffee einladen und darüber auf ihren Blog berichten: hausbesuchwins.wordpress.com.

Was mich an ihrer Idee so fasziniert, ist die Umkehrung geläufiger Meinungen zum Thema Selbstmanagement. Unsere persönlichen Ziele können nämlich auch mit sozialen Projekten und Beziehungen verbunden sein, von denen nicht nur wir, sondern auch andere Menschen profitieren. Denn häufig entsteht beim Thema Selbstmanagement der Eindruck, dass sich alles nur um die Optimierung des eigenen Ich dreht. Auf der anderen Seite ist es aber genausogut möglich, Selbstmanagement sozialer auszurichten. Sie halten das für einen unauflösbaren Widerspruch? SELBST-Management: Da geht es doch eigentlich immer nur um die eigene Person!

Spezifisch formulierte Ziele tragen auch zu mehr Glück in sozialen Beziehungen bei

Wie wir aus der Psychologie wissen, lässt sich mit konkreten und spezifisch formulierten Zielen die Zufriedenheit im Job erhöhen. Der Psychologe Edwin A. Locke von der University of Maryland in College Park (USA) ging dieser Frage bereits in den 1960er Jahren nach. Laut Locke fördern klarere Zielvorgaben wie “Fertigen Sie x Teile pro Monat” mehr die eigene Motivation und das Durchhaltevermögen. Bei diesem Beispiel dreht sich allerdings alles nur um die Erhöhung der Produktivität im Arbeitskontext. Aber wie sieht es mit Zielvereinbarungen im sozialen Bereich aus?

Die Bereitschaft dazu, so ein ehrgeiziges soziales Projekt wie das von Quitterer tatsächlich umzusetzen, wächst auch hier mit dem spezifisch formulierten Ziel. Jedoch hängt dieses Ziel wesentlich mehr mit der eigenen Persönlichkeit und inneren Zielen zusammen als mit äußeren materiellen Vorgaben: “x Teile pro Monat”.

Innere Ziele sind beispielsweise Achtsamkeit, Toleranz und Hingabe. Achtsamkeit und Toleranz sind sicherlich sehr wichtig, wenn Sie auf fremde Menschen stoßen und diesen Menschen spontan in ihrer Privatsphäre begegnen. Bei Quitterer geht es ja gerade um Aufmerksamkeit: Was sind das eigentlich für Menschen, die ich in ihren Wohnungen antreffe? Was für Geschichten haben diese Personen mir zu erzählen? Und was kann ich davon lernen? Hier sind Zuhören und Empathie gefragt. Eben nicht nur ISCH.

Am Ende hat Quitterer immerhin 130 von 200 fremden Menschen in ihren Wohnungen getroffen. Und es blieb vor allem eine entscheidende Erkenntnis: “Anfangs kam ich noch in eine Wohnung, sah den Menschen, die Einrichtung und versuchte, alles einzuordnen, dachte, aha, du bist so und so – klar, da war ich ja noch auf der Suche nach den Klischees –, aber schon nach fünf Minuten Ge­spräch war von meiner kleinen Ausgangsfantasie nichts mehr übrig. Ich lag mit meinen Schubladen kein einziges Mal richtig!”, so Quitterer im Interview mit a tempo. Wunderbar!

Weitere Geschichten von besonders engagierten Menschen folgen im nächsten Beitrag. Außerdem geht es um einige grundlegende Erkenntnisse aus der Persönlichkeitspsychologie. Und dann haben wir noch einen Test für Sie: den Big Five-Persönlichkeitstest. Bleiben Sie also am Ball! Ich freue mich auf Sie!

Quellenangabe zum Titelfoto:

oben links: http://commons.wikimeida.org/wiki/File:Jakob_von_Uexkull.jpg

oben rechts: http://media.prenzlauerberg-nachrichten.de/media/thumbs/assets/2011/10/Hausbesuch_jpg_620x320_Crop_upscale_q85.jpg

unten links: Foto: Veranstalter / Quelle: http://wwwuzh.ch/news/articles/2010/wir_brauchen_eine_saekulare_ethik/Jahr.jpg

unten rechts: Foto: Veranstalter / http://www.ruhrnachrichten.de/storage/sd/mdhl/artikelbilder/lokales/rn/shlo/schwerte/2732350_m3t1w564h376q75v9556_0927_Lesung_Durmaz_Foto.jpg?version=1317038523

 

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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Weiterführende Literatur und Internetquellen:

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