Quo Vadis Demenz? Diagnostik und Therapie von Alzheimer

Still The Oldie

In den letzten 15 Jahren gab es immer wieder Erfolgsmeldungen zu der Forschung und Behandlung von Alzheimer. Letztendlich gibt es aber nach wie vor kein Medikament, was diese Krankheit erfolgreich besiegen kann. In unserer neuen Serie “Quo Vadis Demenz?” beleuchten wir die Hintergründe dazu. Wie sehen die aktuellen Entwicklungen in der Forschung aus? Was hat das mit Frühdiagnostik zu tun? Lesen Sie dazu einen ersten Überblicksbeitrag von Georg Franken, Pflegewissenschaftler und Mitarbeiter am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD).

Weltweit waren im Jahr 2015 nahezu 50 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Es wird angenommen, dass die Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2030 auf ungefähr 75 Millionen Personen steigen wird. Dabei verbinden sich mit der Erkrankung erhebliche Belastungen für die Betroffenen wie für die Gesellschaft (Alzheimer’s Disease International 2015).

Trotz großer Anstrengungen konnten jedoch in den letzten 15 Jahre keine neuen Medikamente für die Behandlung von Demenz bis zur Zulassung entwickelt werden (Cummings et al. 2014).

So finden sich in der Öffentlichkeit widersprüchliche Beiträge, die zum einen von nahe bevorstehenden Durchbrüchen in der medikamentösen Behandlung gerade der Alzheimer Demenz wie zum anderen vom Scheitern hoffnungsvoller Therapieansätze berichten (Hackenbroch 2018; Focus Online 2018; aerzteblatt.de {Lenzen-Schulte 2018 #19}).

Im Folgenden werden aktuelle Trends in der medizinischen Forschung zur Diagnostik und Therapie insbesondere der Alzheimer-Demenz dargestellt.

Entwicklungen in der pharmakologischen Forschung

Bislang verfügbare Medikamente, die mit der Behandlung von Alzheimer in Verbindung stehen, können diese Krankheit nicht heilen. Medikamente dienen daher in diesem Zusammenhang dazu, kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnisfunktion, Konzentrations-, Lern- und Denkfähigkeit bei einer Alzheimer Demenz zu verbessern. Sie setzen dazu symptomatisch an, indem sie die Kommunikation im Gehirn beeinflussen. Diese Art von Kommunikation ist gestört, da ein Mangel des Neurotransmitters Acetylcholin besteht und eine erhöhte Konzentration an Glutamat vorhanden ist.

Neurotransmitter sind Botenstoffe im Gehirn, die die an chemischen Synapsen die Erregung von einer Nervenzelle auf andere Zellen übertragen. Kommt es zu Störungen auf dieser Ebene, können beispielsweise Konzentrationsprobleme zu Tage gefördert werden. Eine medikamentöse Behandlung auf dieser Ebene kann dementsprechend nur dazu beitragen, diese Beeinträchtigungen zeitlich begrenzt zu vermindern.

Neuere therapeutische Ansätze zielen demgegenüber häufig darauf ab, den Krankheitsprozess selbst zu verändern, indem sie die Ursachen der Demenz beeinflussen. Nach der vorherrschenden Hypothese handelt es bei den meisten neurodegenerativen Erkrankungen um Proteinfehlfaltungserkrankungen (Bateman 2015). Dabei ändert sich aufgrund genetischer, epigenetischer, äußerer oder sonstiger Einflussfaktoren die Struktur körpereigener Proteine. Proteine sind Eiweiße, die aus verschiedenen Aminosäuren zusammengesetzt sind. Im weiteren Verlauf verbinden sich die Proteine und häufen sich innerhalb und außerhalb der Zellen. Und schließlich entwickeln die abgelagerten fehlgefalteten Proteine eine toxische Funktion, die schließlich zum Zelltod führt (Pantel 2017).

Als zentrale Merkmale einer Alzheimer-Krankheit gelten seit ihrer Entdeckung durch Alois Alzheimer Gewebeablagerungen, sogenannte “amyloiden Plaques” aus einer Variante des Aβ-Proteins und Neurofibrillenbündel aus fehlgefaltetem Tau-Protein, sowie ein Verlust an Nervenzellen. Das genaue Zusammenwirken dieser Proteine und ihre ursächliche Rolle bei der Zerstörung der Nervenzellen sind jedoch bis heute nicht vollständig geklärt.

Als Modell für das Krankheitsgeschehen wird in der Forschung überwiegend die Amyloid-Kaskaden-Hypothese angenommen (Cacabelos et al. 2016; Pantel 2017).

Schon seit Langem gelten die Proteine als Ursache der neurodegenerativen Erkrankung. Doch diese Amyloid-Hypothese ist stark umstritten. Der Hauptgrund hierfür ist, dass bislang alle Wirkstoffe, die gegen Amyloid gerichtet sind, in klinischen Studien versagt haben. Amyloid sei nicht das richtige Target, so der Vorwurf von Kritikern. Ebenfalls als Beleg gegen die Hypothese wird die Tatsache angesehen, dass die Plaques-Last im Gehirn nicht unbedingt mit der Hirnerkrankung zusammenhängt. Die Nonnenstudie ist als Längschnittsstudie ein Beleg dafür, dass diese Beziehung nicht zwingend ist. Denn diese Studie belegt, dass auch ältere, geistig und körperlich sehr aktive Menschen diese Ablagerungen im Gehirn haben können, ohne an Alzheimer erkrankt zu sein, so wie die Nonnen in dieser Forschung.

Je nach unterstelltem pathogenetischen Modell setzen die pharmakologischen Therapien an unterschiedlichen Stellen im Krankheitsgeschehen an.

Im Einklang mit der Amyloid-Kaskaden-Hypothese zielen verschiedene Wirkstoffe zur kausalen Therapie der Alzheimer-Krankheit darauf ab, die Aβ-Bildung durch Hemmung der am Stoffwechsel maßgeblich beteiligten Enzyme zu blockieren oder Aβ-Protein und dessen Anhäufung durch aktive oder passive Immunisierung abzubauen. Seltener werden Strategien verfolgt, die sich gegen die Bildung und Anhäufung von Neurofibrillen richten. Neurofibrillen sind neben den Plaques spezielle Eiweißablagerungen, die eine Rolle bei der Alzheimerdemenz spielen. Dabei kommt es zu einer Anhäufung des Tau-Proteins, also Protein-Klumpen im Gehirn.

Eine untergeordnete Rolle spielen pharmakologische Strategien, die sonstige Mechanismen wie antioxidative (= hochreaktive Sauerstoffverbindungen) oder neuroprotektive Wirkungen (= Schutz von Gehirnzellen vor Schaden und Tod)  oder Entzündungshemmungen (= bezeichnet die körpereigene oder therapeutische Abschwächung von Entzündung) nutzen oder gemäß des Verständnisses der Alzheimer-Krankheit als “Typ III Diabetes” auf die Gabe über die Nase verabreichten Insulins setzen (Pantel 2017).

In den letzten Jahren konnten jedoch verschiedene Substanzen, die im Rahmen hoffnungsvoller Therapieansätze erprobt wurden, bei Menschen mit Demenz keine Verbesserung der klinischen Symptome zeigen (Lenzen-Schulte 2018). Trotzdem erwiesen sich dabei antiamyloide Wirkstoffe pharmakologisch teilweise als effektiv, indem sie nachweislich dazu beitrugen, überschüssiges Amyloid abzubauen.

Experten nehmen daher an, dass die Behandlung im Krankheitsverlauf zu spät begonnen wurde. Da die Entwicklung einer Alzheimer-Krankheit schon Jahrzehnte vor dem Einsetzen klinischer Symptome beginnt, werden derzeit insbesondere Wirkstoffe zur passiven Immunisierung bei Menschen erprobt, die Genmutationen für eine familiäre Alzheimer-Krankheit aufweisen bzw. aufgrund spezifischer Gene ein hohes Erkrankungsrisiko tragen. Sollte sich eine präventive Wirkung der getesteten Substanzen belegen lassen, hofft man, dies auf Menschen ohne genetische Disposition übertragen zu können (Alzheimer’s Association).

Frühdiagnostik

Um pharmakologische Wirkstoffe entwickeln und testen zu können, die entsprechend frühzeitig in den Krankheitsprozess eingreifen können, aber auch ab dem Zeitpunkt, wenn solche Substanzen für eine wirksame Behandlung zur Verfügung stehen, werden Möglichkeiten einer frühzeitigen Diagnostik benötigt. Der Fokus in der Forschung richtet sich dabei auf die Entwicklung sogenannter “Biomarker”. Biomarker sind objektiv bestimmbare biologische Merkmale, die als Krankheitsindikatoren verwendet werden können. In der klinischen Forschung erfüllen sie diagnostische oder prädiktive, also voraussehbare Funktionen (Jack et al. 2018). Zukünftig könnten sie die überwiegend im Ausschlussverfahren betriebene klinische Diagnostik durch die Erfassung objektiver und valider neurobiologischer Merkmale ergänzen (Positivdiagnostik) (Pantel 2017).

In der strukturellen Bildgebung können mithilfe der strukturellen oder der volumetrischen Magnetresonanztomographie (MRT), Atrophien nachgewiesen werden (= Gewebeschwund), die als frühe Indikatoren für eine Alzheimer-Krankheit gelten.

In der funktionalen Bildgebung wird in der [F18] Fluordesoxyglucose (FDG)-Positronen-Emissions-Tomographie (PET) die Zellaktivität in spezifischen Gehirnregionen dargestellt, die für Gedächtnis, Lernen und Problemlösung bedeutsam sind (siehe dazu auch das beigefügte Videobeispiel aus der Krebsforschung). Für die molekulare Bildgebung wurden verschiedene sogenannte Tracer entwickelt. Dabei handelt es sich um Substanzen, die radioaktiv markiert sind und sich an amyloide Plaques binden. Mittels PET kann so die Plaquemenge und –verteilung bestimmt werden.

Geforscht wird an der Entwicklung entsprechender Tracer für den Nachweis von Tau-Protein. Als neurochemische Biomarker dienen die Konzentrationen von Tau- und Aβ-Protein und deren Verhältnis in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, dem Liquor. In der Kombination verschiedener Biomarker lassen sich für eine Alzheimer-Krankheit typische Befundkonstellationen bestimmen (Pantel 2017; Alzheimer’s Association 2018; Wiltfang et al. 2016). Geforscht wird zum einen noch an der Validierung einzelner Verfahren und deren Standardisierung, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, zum anderen wird nach konsistenten Biomarkern im Urin oder Blut bei Menschen mit präsymptomatischer Alzheimer-Krankheit gesucht, da die Bestimmung der Aβ- und Tau-Proteine im Liquor aktuell eine Lumbalpunktion erfordert.

Diskussion

In den letzten 15 Jahren wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, neue Medikamente für die Behandlung einer Alzheimer-Krankheit zu entwickeln. In einer Analyse klinischer Studien, die zwischen 2002 und 2012 auf clinicaltrials.gov eingetragen wurden, einer staatlichen Datenbank zur Registrierung US-amerikanischer und internationaler Studien, fanden sich 413 Studien zu 244 unterschiedlichen Substanzen. Ungefähr die Hälfte der Studien bezog sich auf die Erprobung krankheitsmodifizierender Wirkstoffe. Doch nur ein Medikament, Memantine, erreichte in diesem Zeitraum die Zulassung. Dies entspricht einer Misserfolgsquote von 99,6% (Cummings et al. 2014).

Das Scheitern vieler Studien gerade mit krankheitsmodifizierenden Antiamyloidwirkstoffen lässt auch verstärkt Kritik an den pathogenetischen Leithypothesen der Alzheimer-Krankheit wie der Amyloid-Kaskaden-Hypothese aufkommen. Dies gilt verstärkt angesichts der Beobachtung, dass die klinische Wirksamkeit ausblieb, obwohl die Substanzen nachweislich dazu beitrugen, Amyloid abzubauen. So könnte es sich bei der Verklumpung und Anhäufung von Aβ und Tau auch nur um Endpunkte im Krankheitsgeschehen handeln, die vom relevanten Krankheitsmechanismus weit entfernt sind (Pantel 2017).

Schlussfolgerung

Trotz erheblicher Anstrengungen konnte in den letzten 15 Jahren kein neuer Wirkstoff zur Behandlung der Alzheimer Demenz bis zur Zulassung entwickelt werden.

Die gegenwärtigen Bemühungen, krankheitsmodifizierende Substanzen zu erproben, zielen darauf ab, das Krankheitsgeschehen bereits frühzeitig im präklinischen Stadium zu beeinflussen. Bereits die Erforschung entsprechender Wirkstoffe, aber auch die notwendige Frühdiagnostik im Falle einer wirksamen Behandlungsstrategie erfordern die Entwicklung valider, möglichst nicht oder nur gering invasiver Erfassungen biologischer Krankheitsindikatoren. Die hohe Misserfolgsquote in der Vergangenheit dämpft die Erwartungen und stärkt die Kritik an dem vorherrschenden Modell zum Krankheitsgeschehen.

Weiterführende Literatur

  • aerzteblatt.de: Morbus Alzheimer. Antikörper Solanezumab scheitert endgültig in Phase 3-Studie. Online verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71642/Morbus-Alzheimer-Antikoerper-Solanezumab-scheitert-endgueltig-in-Phase-3-Studie, zuletzt geprüft am 29.05.18.
  • Alzheimer’s Association (Hg.): Treatment Horizon. Online verfügbar unter https://www.alz.org/research/science/alzheimers_treatment_horizon.asp, zuletzt geprüft am 30.05.18.
  • Alzheimer’s Association (Hg.) (2018): Alzheimer’s and Dementia Testing for Earlier Diagnosis. Online verfügbar unter https://www.alz.org/research/science/earlier_alzheimers_diagnosis.asp, zuletzt geprüft am 30.05.18.
  • Alzheimer’s Disease International (Hg.) (2015): World Alzheimer Report 2015. The global impact of dementia. An analysis of prevalence, incidence, cost and trends. London.
  • Bateman, Randall (2015): Alzheimer’s disease and other dementias. Advances in 2014. In: The Lancet Neurology 14 (1), S. 4–6. DOI: 10.1016/S1474-4422(14)70301-1.
  • Cacabelos, Ramón; Torrellas, Clara; Carrera, Iván; Cacabelos, Pablo; Corzo, Lola; Fernández-Novoa, Lucía et al. (2016): Novel Therapeutic Strategies for Dementia. In: CNS & neurological disorders drug targets 15 (2), S. 141–241.
  • Cummings, Jeffrey L.; Morstorf, Travis; Zhong, Kate (2014): Alzheimer’s disease drug-development pipeline. Few candidates, frequent failures. In: Alzheimer’s Research & Therapy 6 (4), S. 37. DOI: 10.1186/alzrt269.
  • Focus Online (2018): Im Kampf gegen das Vergessen: 3 neue Ansätze gegen Demenz. Online verfügbar unter https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/demenz/demenz-3-neue-ansaetze-im-kampf-gegen-das-vergessen_id_8194339.html, zuletzt geprüft am 29.05.18.
  • Hackenbroch, Veronika (2018): Die neue Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer. Spiegel Online. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/plus/alzheimer-forschung-macht-hoffnung-a-00000000-0002-0001-0000-000155351716, zuletzt geprüft am 29.05.18.
  • Jack, Clifford R.; Bennett, David A.; Blennow, Kaj; Carrillo, Maria C.; Dunn, Billy; Haeberlein, Samantha Budd et al. (2018): NIA-AA Research Framework. Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. In: Alzheimer’s & dementia : the journal of the Alzheimer’s Association 14 (4), S. 535–562. DOI: 10.1016/j.jalz.2018.02.018.
  • Lenzen-Schulte, Martina (2018): Antidementiva scheitern reihenweise. In: Deutsches Ärzteblatt 115 (5), A 200-A201.
  • Pantel, Johannes (2017): Alzheimer-Demenz von Auguste Deter bis heute. Fortschritte, Enttäuschungen und offene Fragen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 50 (7), S. 576–587.
  • Wiltfang, J.; Lewczuk, P.; Otto, M. (2016): Biomarker bei Demenzen und anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Aktuelle Entwicklungen. In: Der Nervenarzt 87 (12), S. 1305–1309. DOI: 10.1007/s00115-016-0238-2.

Quellenangabe zum Titelbild:

Still the Oldie / photo on flickr

Georg Franken arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Themen Gerontologische Pflege, Palliative Care und Instrumentenentwicklung. Kontakt: Georg.franken@uni-wh.de.

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web.  Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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