Demnächst: Vom Umgang mit schwierigen Menschen

“Ich habe ein geschädigtes Gehirn, du nicht. Also, was kannst du mir überhaupt sagen?” Um Menschen mit Demenz besser zu verstehen, müssen wir uns selber fragen, wo wir ähnliche Probleme haben, wo wir vielleicht auch vergesslich und orientierungslos sind. Dabei gilt generell für den Umgang mit schwierigen Menschen: Wie sieht die Welt aus deren Perspektive aus?

Dies ist die Vorankündigung zu einer neuen Serie. Es geht um die Frage, wie wir den Umgang mit schwierigen Menschen in der Pflege auf eine Weise gestalten können, die mehr auf gegenseitigem Verständnis beruht. Dabei geht es nicht nur um Menschen mit Demenz. Wer den Umgang mit schwierigen Menschen anders gestalten möchte, sollte zunächst damit beginnen, das Weltbild von derartigen Personen besser zu verstehen.

“Ver-rückt” sind dann eben nicht nur Menschen mit Demenz, sondern prinzipiell alle Menschen um uns herum und wir selber, wenn wir Verhaltensweisen an den Tag legen, die für andere nicht nachvollziehbar sind. Dementsprechend wird es in dieser neuen Serie als Einstieg eine ausführlichere Besprechung des Buches “Irren ist menschlich. Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie” von unter anderem Klaus Dörner und Ursula Plog geben (Dörner et. al. 2009), bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, was den Umgang mit schwierigen Menschen außerhalb von Demenz charakterisiert. Zu diesem Zweck werden wir uns das Buch “Der ganz normale Wahnsinn. Vom Umgang mit schwierigen Menschen” von Christophe André und François Lelord näher anschauen (André & Lelord 2014). Abgerundet wird diese Reihe durch ein weiteres Info-Plakat, das eine zusammenhängende Darstellung über schwierige Persönlichkeiten beinhaltet. Dazu gehören unter anderem ängstliche, paranoide und passiv-aggressive Persönlichkeiten.

Die Idee besteht darin, jene Persönlichkeitsanteile in uns selber genauer zu identifizieren, die für andere Personen problematisch sein könnten, um ein besseres Verständnis für jene Personen zu entwickeln, die wir pflegen und/oder mit denen wir regelmäßig in unserem Beruf und in unserem Privatleben zu tun haben.

Wenn die eigene Orientierung versagt: Eine Annäherung

Gegen Ende meines Studiums verbrachte ich ein Auslandssemester in Brüssel. Ich kann mich noch recht gut darin erinnern, wie ich einmal zu Beginn meiner Zeit in Brüssel den Weg vom Supermarkt zurück zu meiner Bleibe suchte. Aber es war wie verhext. Ich hatte mich buchstäblich verirrt. Nach mehr als einer Stunde hatte ich dann aber glücklicherweise doch den Weg zurück “nach Hause” gefunden. Dabei war das Studentenwohnheim für Erasmus-Studenten, in dem ich damals in Brüssel untergebracht war, eigentlich nur fünf Minuten von dem Supermarkt entfernt. Ich hatte also die Orientierung verloren.

Wenn wir häufiger mit Menschen mit Demenz zu tun haben, erleben wir diese Menschen nicht selten als schwierige Personen. Das liegt insbesondere daran, dass wir ihre Verhaltensweisen teilweise nicht nachvollziehen können, wenn sie beispielsweise plötzlich ganz aufbrausend und aggressiv werden. Dabei ist die Frage, ob diese Verhaltensweisen mit der Krankheit oder der Persönlichkeit zusammenhängen (oder beides), erst einmal nebensächlich. Ich halte es daher zunächst für wesentlich bedeutsamer, sich den Menschen, deren Verhalten wir vielleicht nicht verstehen, so weit wie möglich anzunähern. Und dafür müssen wir vorab in uns hineinhorchen: Wo ist mein Verhalten ähnlich? Wo erfahre auch ich meine eigenen neurobiologischen Grenzen?

Ich habe zu dieser Annäherung das Buch “Irren ist menschlich” gelesen und möchte dieses Buch in dieser neuen Reihe zum Umgang mit schwierigen Menschen demnächst ausführlicher präsentieren. Vorab sei nur so viel verraten, dass dieses Buch bereits vor über 30 Jahren Epoche machte, weil es eine andere Blickweise auf die Psychiatrie beinhaltete. Es hat klargemacht, dass es auf die Haltung ankommt, wie wir Pflegenden uns psychischen Beeinträchtigungen und chronischen Krankheiten wie Demenz annähern. So wird in dem Buch beispielsweise vorgeschlagen, in der Begegnung mit Menschen mit Demenz, jene Teile in uns selbst zu suchen, die mit den kognitiven Beschränkungen derjenigen Personen zusammenhängen, die wir pflegen.

“Ich habe ein geschädigtes Gehirn, du nicht. Also, was kannst du mir überhaupt sagen?” Wenn ich selbst die Orientierung verloren habe, so wie mir das persönlich in Brüssel widerfahren ist, werde ich mir jenen Einschränkungen bewusst, die der demenzkranke Mensch ständig aushalten muss. Das ist ein wesentlicher Schritt in dem Vorhaben, die Probleme des anderen Menschen bis zu einer gewissen Grenze in sich selber zu spiegeln.

“Irren ist menschlich” vermittelt dementsprechend eine Sichtweise auf die Psychiatrie, die nicht die Krankheit oder die Abnormalität des Menschen fokussiert, sondern dagegen die Psychiatrie als ein Ort betrachtet, “wo der Mensch besonders menschlich ist; das heißt wo die Widersprüchlichkeit des Menschen oft nicht auflösbar, die Spannung auszuleben ist: So das Unmenschliche und Übermenschliche, das Banale und Einmalige, Oberfläche und Abgrund, Passivität und Aktivität, das Kranke und das Böse, Weinen und Lachen, Schmerz und Glück, das Sich-Verstellen und Sich-Wahrmachen, das Sich-Verirren und Sich-Finden” (Dörner et. al. 2002: 11).

Ausblick: Vom Umgang mit schwierigen Menschen

Es geht mir in dieser Reihe keineswegs um die Pathologisierung von einzelnen Verhaltensweisen, die wir bei uns, anderen Menschen oder eben bei Menschen mit Demenz in unserem Alltag antreffen. Es geht mir um einen Dialog zwischen uns und den Menschen, die wir pflegen, und den Versuch, deren Verhaltensweisen besser zu verstehen, indem wir uns fragen, wo auch wir derartige Verhaltensweisen an den Tag legen. Ein legendäres Lehrbuch aus der Psychiatrie und ein unterhaltsames Plädoyer, verfasst von zwei französischen Psychologen, kann uns dabei helfen, diesen Dialog auf mehr systematische und profundere Art in der professionellen Pflege zu gestalten.

Seien Sie also gespannt, was in dieser neuen Reihe demnächst noch folgt!

Weiterführende Literatur:

  • André, C.; Lelord, F. (2014): Der ganz normale Wahnsinn. Vom Umgang mit schwierigen Menschen. Berlin: Aufbau.
  • Dörner, K.; Plog, U.; Teller, C.; Wendt, F. (2009): Irren ist menschlich. Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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