Das Demenzei des Monats: Frühdiagnostik bei Alzheimer. Ergebnisse zu unserer ersten Befragung

Im November 2013 haben wir uns ein neues Format ausgedacht: “Das Demenzei des Monats”. Beim Demenzei geht es um kontroverse und komplexere Themen aus der Pflege, die zur Diskussion anregen. Als Grundlage dient ein Video-Beitrag. Das erste Demenzei: Fragen zur Diagnostik bei Alzheimer. Und hier die Ergebnisse zu unserer ersten Diskussion.

Wir wollen in Zukunft einmal pro Monat ein Demenzei in der Form eines Videos produzieren. Ab Februar 2014 ist es soweit. Dieses Demenzei ist sozusagen der Vorläufer zu unserer neuen Serie. Die Struktur sieht dabei immer wie folgt aus: Zunächst führen wir in ein Thema ein, um Ihnen daraufhin zwei Fragen zu stellen. Ihre Antworten können Sie uns dann entweder per E-Mail oder als Video bis zu einer gewissen Frist an folgende Adresse schicken: demenzei(at)uni-wh.de.

Bei unserer ersten Demenzei-Aktion haben wir Ihnen folgende zwei Fragen zum Thema “Diagnostik bei Alzheimer” gestellt:

  1. Angenommen Sie hätten erste mögliche Symptome einer Demenzerkrankung. Würden Sie ohne Weiteres zum Arzt gehen?
  2. Stellen Sie sich vor, es wäre jetzt schon möglich, Menschen im frühesten Kindesalter auf Alzheimer untersuchen zu lassen. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Art von Frühdiagnostik?

Bei unserer ersten Demenzei-Aktion haben uns insgesamt 11 Personen Antworten zugesendet. Alle Antworten erfolgten per E-Mail. Eine Antwort per Video war indes nicht dabei. Außerdem konnten bei unserer ersten Demenzei-Aktion alle TeilnehmerInnen das Hörspiel “Alzheimer mit dem Spürsinn von Sherlock Holmes auf der Spur” gewinnen. Zusätzlich gab es ein Buch zu den Themen Pflege und Demenz im Wert von maximal 30 Euro zu gewinnen. Die beiden Gewinnerinnen waren Frau Irmgard Konrad und Frau Katja Hörter.

Die Alzheimer-Diagnose in der Zukunft: Ein mögliches Szenarium

In der Zukunft wird der Bereich der Frühdiagnostik immer wichtiger. Damit wird sich wahrscheinlich auch unser persönlicher Umgang mit diesem Thema grundlegend verändern. Denn noch lassen wir uns zumeist erst dann genauer untersuchen, wenn unser Leidensdruck schon recht hoch ist, mit solchen Ausnahmen wie vielleicht Krebsvorsorgeuntersuchungen. Ein Beispiel dafür sind etwa Männer, die sich schon in ihren 30iger Jahren auf Prostata-Krebs untersuchen lassen.

Was bei einer solchen Demenz wie Alzheimer vor diesem Hintergrund aber wohl überraschen dürfte, ist die wissenschaftliche Entdeckung von Ablagerungen in den Gehirnen von Kindern, wie sie bisher nur bei Alzheimer-Patienten bekannt waren, sogenannte “Tangles”. Diese Entdeckung geht auf wissenschaftliche Untersuchungen von dem Neuroanatomen Prof. Heiko Braak von der Universität Ulm zurück.

Bei der Untersuchung von Kindergehirnen erlebte Braak eine echte Überraschung: Er entdeckte tatsächlich schon in den Gehirnen von Sechsjährigen Ablagerungen, wie sie bisher nur bei Alzheimer-Patienten bekannt waren. Sie alle bestehen aus dem Eiweiß Tau, der Stoff, aus dem die Tangles sind.

Die Forschung von Braak hat uns u. a. zu der Frage geführt, wie wohl Vorsorge-Untersuchungen in der Zukunft aussehen werden, welche vor allem die Alzheimer-Demenz betreffen. Es ist also tatsächlich vorstellbar, dass schon in nicht allzu weiter Zukunft Kinder auf Alzheimer untersucht werden. Unser Verständnis von Vorsorge-Untersuchungen wird sich damit wahrscheinlich ebenso grundlegend verändern.

Daher zum einen unsere Frage, ob Sie bei den ersten Symptomen einer möglichen Demenzerkrankung zum Arzt gehen würden, zum anderen aber auch zukünftig dazu bereit wären, Ihre Kinder auf Alzheimer untersuchen zu lassen.

Ihre Antworten auf unsere Fragen: Ergebnisse zu unserer ersten Befragung

Frau Theresia Beckenkamp, Studentin des Studiengangs „Innovative Pflegepraxis“ an der Universität Witten/Herdecke, schrieb uns beispielsweise auf unsere erste Frage “Angenommen Sie hätten erste mögliche Symptome einer Demenzerkrankung. Würden Sie ohne Weiteres zum Arzt gehen?” folgende Antwort: “Nein, würde ich nicht. Ich würde erst möglichst viele Informationen sammeln in der Hoffnung etwas zu finden, was den Prozess aufhält (…) Erst wenn der Leidensdruck hoch ist, würde ich zum Arzt gehen.”

Warum habe ich gerade zum Einstieg diese Antwort ausgewählt? Vor unserer ersten Demenzei-Aktion diskutierte ich mehrfach mit Herrn Detlef Rüsing (Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz) über diese Frage und die damit verbundenen Konsequenzen.

Dabei erkannten wir bei unser ersten Frage und der dazugehörigen möglichen Antwort folgendes Grundmuster: Wir gehen eigentlich tendenziös nur zum Arzt, um zu erfahren, dass wir an sich gesund sind. Das ist zunächst widersprüchlich und paradox, aber dennoch bis dato ein gängiges Muster, was für recht viele Personen zutrifft. Der Grund dafür ist ja auch sehr nachvollziehbar: Wenn wirklich eine verlässliche Diagnose für eine chronische Krankheit vorliegt, so hat das ja auch schwere Folgen für unser ganzes weiteres Leben.

Denken Sie vor diesem Hintergrund beispielsweise an die Diagnose Krebs. Ihr Arzt sagt Ihnen, dass Sie Leukämie (Blutkrebs) haben. Wie erzählen Sie das Ihrer Familie, Ihren Mann oder Ihrer Frau? Wie gehen Sie in Zukunft mit dieser Diagnose persönlich um? Wie schützen Sie sich beispielsweise vor einer schweren Depression in der Folge dieser Diagnose? Selbstverständlich haben wir alle vor einer solchen Diagnose Angst. Auf der anderen Seite dürfen wir dabei aber auch nicht vergessen, dass die Chancen für den Sieg über eine solche Krankheit wie Krebs umso besser stehen, je früher sie erkannt wird.

Es geht dabei aber sicherlich nicht nur um unsere persönlichen Ängste. Denn manchmal werden diese Ängste auch ganz unverhältnismäßig von außen geschürt, etwa von der Pharma- und Medizinindustrie oder von den Massenmedien. Dann wissen wir zuweilen nicht mehr so recht, wem wir eigentlich glauben sollen.

So schrieb uns beispielsweise Frau Wiebke Hoogklimmer aus Berlin, die hauptmäßig als Altistin im Konzert- und Liedgesang tätig ist und den Online-Auftritt www.volkslied-sammlung.com betreibt, zu unserer zweiten Frage “Stellen Sie sich vor, es wäre jetzt schon möglich, Menschen im frühesten Kindesalter auf Alzheimer untersuchen zu lassen. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Art von Frühdiagnostik?” in einer sehr bemerkenswerten Passage folgendes:

“Ich ganz persönlich hätte kein Interesse an der Frühdiagnostik. Es wird sowieso schon im Moment die Angst vor der Alzheimererkrankung unverhältnismäßig geschürt. Wie soll dann ein junger Mensch mit dem Damoklesschwert `Ich bekomme irgendwann Alzheimer´ unbeschwert leben?”

Mit dieser Antwort hängt auch eine weitere wichtige Fragestellung vor dem Hintergrund der Frühdiagnostik zusammen. Was nützt es, wenn eine bestimmten Demenz in der Zukunft schon wesentlich früher prognostiziert werden kann, aber die Therapie und Behandlungsmethoden nicht gleichermaßen fortschrittlich ausfallen?

Auch hierzu erhielten wir von Frau Firuzan Sari Kundt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pflegewissenschaft und –praxis in Salzburg in Österreich, eine bemerkenswerte Antwort:

“Ich wäre voll und ganz für eine Frühdiagnose, wenn man in diesen frühen Jahren auch effektiv etwas gegen diese Krankheit unternehmen könnte, sodass eine Demenzerkrankung in den späteren Jahren fast gänzlich (zu 95%?) ausgeschlossen werden kann.”

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die Antwort von Frau Silvia Apel, Studentin aus Lüdenscheid. Hinzu kommt hierbei außerdem der entscheidende Gedanke bei dem Thema Frühdiagnostik, wie wir unser Leben in Zukunft gestalten wollen. Ist es wirklich förderlich, wenn wir viele Jahre vor dem eigentlichen Ausbruch einer schweren chronischen Krankheit schon wissen, woran wir eines Tages vermutlich sterben werden?

So schrieb uns Frau Apel: “Auf eine Disposition zur Demenz hätte ich weder mich noch mein Kind untersuchen lassen. Zwar gibt es auch schon jüngere Betroffene, allerdings halte ich das eher für Ausnahmen. Meine Schwiegermutter, die mit 60 auch eher zu den jüngeren gehörte, hatte trotz allen bis dahin ein schönes Leben und die zehn Jahre mit der Erkrankung kann ich natürlich nicht aus ihrer Perspektive beurteilen. Sie konnte aber bis zu ihrem Tod zu Hause versorgt werden. Ich weiß nicht, ob man solche Erfahrungen gemacht haben muss, aber bei mir tragen sie zur Dankbarkeit bei und zu der Überzeugung, mein Leben genießen zu dürfen.”

Fazit: Solange aus einem frühzeitigen Krankheitsbefund nicht gleichermaßen auch ebenso fortschrittlichere Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten entstehen, bleibt die Frühdiagnose durchaus eine fragwürdige Angelegenheit. Gleichwohl wird sich unser allgemeines Verständnis in diesem Feld in der Zukunft sehr wahrscheinlich grundlegend verändern, wenn beispielsweise Kinder zukünftig vermehrt auf die Disposition zu Alzheimer untersucht werden sollten.

Dies ist sicherlich auch weiterhin im Bereich der Grundlagenforschung eine äußerst wichtige Fragestellung: Gibt es wirklich verlässliche Frühindikatoren für eine solche Demenz wie Alzheimer? Und wenn ja, wie lässt sich eine solche Demenz nach der verlässlichen Frühdiagnose auf eine Weise behandeln, die den eigentlichen Ausbruch der Krankheit bereits im Vorstadium erfolgreich abwenden kann?

Das wäre ja der große Traum im Bereich der Frühdiagnostik: Das Abwenden der Krankheit, schon Jahrzehnte bevor sie ausbricht. Von der Realisierung dieses Traumes sind wir allerdings nach wie vor noch relativ weit entfernt …

Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de

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