Vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2018 fand in Kopenhagen das “North Sea Dementia Group Meeting” statt. Marcus Klug, Kommunikationswissenschaftler am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD), schildert an dieser Stelle seine Eindrücke und Erlebnisse: darunter zahlreiche außergewöhnliche Gespräche und Vorträge sowie der Besuch von Sølund, ein Pflegeheim mit dem Themenschwerpunkt auf Musik.
“Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum”, so ein berühmtes Zitat von Friedrich Nietzsche aus der “Götzen-Dämmerung”. Dieser Satz könnte bei meiner Beerdigung in Stein gemeißelt sein.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie begeistert und emotional ergriffen ich war, als die Gruppe von Forschern, Führungspersonen und anderen Demenzexperten am Freitag, den 1. Juni während des “North Sea Dementia Group Meetings” das Pflegeheim Sølund besuchte.
Innerlich kamen mir bei diesem Ereignis fast schon die Tränen im positiven Sinne, denn der Besuch dieser Einrichtung hat wirklich einen bleibenden emotionalen Eindruck bei mir hinterlassen. Die anregenden und wirklich inspirierenden Gespräche mit Pernille und Tine beispielsweise, die eine Vollblutmusikerin und Pflegerin, die andere zuständig für die Organisation. Und so kamen während des Gesprächs mit diesen beiden Frauen immer mehr interessante Details hervor.
Tine etwa spielt selber zwar keine Instrumente, kommt aber aus einer Familie von Musikern. Und so erzählt sie an diesem außergewöhnlichen Tag, wie sie es den Bewohnern von Sølund organisatorisch ermöglicht, einmal pro Woche beispielsweise ein Konzert in Begleitung zu besuchen.
Stelle dir das einmal vor: Wenn du ein Leben lang harte Rockmusik gehört hast und Lemmy von Motörhead noch leben würde, dann könntest du in diesem Heim in Begleitung auch mit Demenz solche eher ungewöhnlichen Konzerte erleben.
Das ist jedoch längst nicht alles. Musik spielt nicht nur in meinem Leben eine immens wichtige Rolle, sondern bildet zugleich auch ein recht wirksames therapeutisches Mittel, um Menschen emotional anzuregen, wenn die verbale Kommunikation zunehmend versagt. Pernille und Tine erzählen dazu später auch noch mehr. Aber halt, ich greife vor ;-).
Worum ging es bei diesem Treffen?
Das Treffen fand vom 30. Mai bis zum 1. Juni statt am DGI Byen, ein Hotel in Kopenhagen, das nicht nur über ein Schwimmbad und mehrere Fitnessräume verfügt, sondern auch über spezielle Räumlichkeiten für Konferenzen. Schwimmbad und Fitnessräume stehen stellvertretend als Symbol für die Fitnessbegeisterung der Dänen mit teilweise seltsamen Kapriolen. Dazu gleich noch mehr.
Insgesamt haben 26 Personen an dem Treffen teilgenommen, darunter Demenzexperten aus den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Schweden, Belgien, Frankreich, Luxemburg und Deutschland. Aus dem deutschsprachigen Raum waren Gabriele Kreutzner und Christina Kuhn vom Demenzsupport in Stuttgart angereist, Stefan Raskop, Leiter der Pflege von Croix Rouge in Luxemburg, Christian Heerdt, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), sowie meine Wenigkeit.
In den folgenden Tagen fand ein reger Austausch zwischen den Teilnehmern statt. Und es gab zahlreiche außergewöhnliche Präsentationen und Impulse. Unter anderem ging es um nationale Demenzstrategien, Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Es ging ferner um multimediale Kampagnen, Präventionsansätze und den Transfer von Wissen aus der Forschung in die Praxis. Technik und Bildungsthemen spielten eine Rolle. Und immer wieder ging es auch um ein besseres Verständnis des Krankheitsbildes, um die Frage, wie die Pflege von Menschen mit Demenz im Alltag besser bewerkstelligt werden kann und wie zukünftige innovative Versorgungskonzepte aussehen, was ambulante und stationäre Pflege anbelangt.
29. Mai: Ankunft in Kopenhagen
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie bei der Ankunft am Dienstag, den 29. Mai 2018, neben dem Hotel im Eingangsbereich sich junge Männer mit nacktem Oberkörper sportlich betätigten, so als ob diese Aktivitäten das Selbstverständlichste der Welt seien.
Meine Assoziation dazu: Würde ich dort, wo ich gerade wohne, nämlich in Wuppertal vor der Eingangstür bei schönem Wetter meine Hantelbank installieren, so wäre das doch eher ein schräges Bild. Von Freunden kenne ich solche Geschichten beispielsweise von Menschen aus Kalifornien.
Für das Auge ist jedenfalls in Kopenhagen gesorgt: Viele Menschen sind hier groß, sportlich gebaut und schön anzusehen. Und selbstverständlich sind das auch irgendwo Klischees, so wie die Vermutung, dass in Kopenhagen die Lebensqualität die Beste in Europa sei, die Familienfreundlichkeit das höchste Gut unter den Dänen, das Bildungssystem sowieso absolut vorbildlich und die Pflege viel personenzentrierter als bei uns.
Bei der Rückfahrt wird dann auch ein kerniger Taxifahrer noch weiter an diesem Bild rütteln: Er erzählt, dass er über viele Jahre in Schottland und England gelebt hätte und jetzt seit über zehn Jahren in Dänemark wohnen würde. Ich bin mir nicht sicher, ob er aus Marokko kommt, jedenfalls sagt er irgendwann diesen krassen Satz.
Das Leben vieler junger Einheimischer in Kopenhagen würde sich vor allem um drei Dinge drehen. Ich bin gespannt. Und dann folgt auch prompt dieser Satz. Es ginge erstens um Prestige und Karriere, zweites um Körperkult und drittens um das eigene Ego. Auch gebe es mittlerweile vielerorts einen stark ausgeprägten Nationalismus innerhalb der dänischen Gesellschaft, so der Taxifahrer später noch.
Ich bin nicht der Typ dafür, solche Ansichten blindlings zu übernehmen und mache mir immer gerne selbst mein Bild. Ich kann aber auch an dieser Stelle nicht verschweigen, dass ich mich für gesellschaftliche Zusammenhänge und die menschliche Natur sehr interessiere. Und dazu gehören eben neben den positiven Aspekten unseres Lebens auch die Abgründe einer Gesellschaft und deren Kultur.
An diesem Tag jedenfalls genießen wir das schöne Wetter bei der Ankunft und schauen uns erst einmal die Stadt an. Es liegen also keine schweren Themen in der Luft, eher eine beschwingte Leichtigkeit.
Wir – damit meine ich Christian vom KDA und meine Wenigkeit. Dieser Tag fühlt sich tatsächlich fast wie Urlaub an, bevor in den nächsten Tagen sehr lange und intensive Aktivitäten anstehen: mit lebhaftem Austausch und viel Input; intensive geistige und körperliche Bewegung.
Es ist zudem außergewöhnlich warm, die Rede ist gar in den Medien von einem Jahrhundertmai in Kopenhagen, was die Hitze anbelangt. Tatsächlich wandert das Barometer während dieses Aufenthaltes fast auf die 30 Grad, während in Wuppertal die Überschwemmung am Werke ist.
Der Kontrast könnte kaum größer sein.
Meine Freundin schickt mir währenddessen ein kleines Filmchen auf mein Smartphone zu und ich kann es überhaupt nich fassen, was ich da so sehe: Die Leute in Wuppertal-Elberfeld stehen teilweise knietief im Wasser und erste Läden im Tal müssen gar ihren Betrieb vorübergehend einstellen.
30. Mai: Der offizielle Beginn einer herausragenden Veranstaltung
Es gibt zwei Präsentationen an diesem Tag, die mir plastisch sehr gut in Erinnerung geblieben sind. Und es ist ein straffes Programm, was da in den nächsten Tagen vor uns liegt. 13 Präsentationen werden es morgen auf Englisch sein, meine eingeschlossen, die da vor uns liegen.
Heute beginnt die ganze Veranstaltung erst einmal locker. 12 Uhr ist der offizielle Beginn. Wir starten an diesem Tag mit Mittagessen in der dafür vorgesehenen Konferenzlokalität des Hotels DGI Byen. Es ist ein größeres Gebäude mit mehreren Etagen und großen Fenstern. Im unteren Teil findet eine internationale Handelskonferenz statt, während sich unser Meeting-Raum weiter oben befindet, auf der dritten Etage.
Unten im Eingangsbereich ist neben der Empfangsrezeption ein weiteres Detail augenfällig. Dort steht ein überdimensioniertes Federtier, wie man es von Kinderspielplätzen her kennt. Ich frage mich, ob das eine Kunstinstallation ist, erfahre dann aber von einem sympathischen jungen Mann am Empfang, dass man sehr wohl gerne auf den Federtier schaukeln könne, wenn man wolle.
Beim Mittagessen gibt es zum Start einen ersten lockeren Austausch. Und eine angenehme Gesprächsatmosphäre. Am Buffet stehen viele gesunde Speisen zur Auswahl. Fleisch und Fisch, dunkles Brot, unterschiedliche Salatsorten und Toppings, etwa Croutons und Nüsse. Nur den Nachtisch muss man ein wenig suchen. Es gibt frische Beerengrütze.
Ganz unvorbereitet fängt die erste Session mit den Präsentationen mit einer Aufgabe an, die ich so nicht erwartet hätte: Jedes Land soll die eigene nationale Demenzstrategie kurz vorstellen. Ich bin zugegeben ein wenig überfragt, da ich von dieser Aufgabe zuvor nichts mitbekommen habe. Schließlich improvisieren Gabriele vom Demenzsupport, Christian und meine Wenigkeit vor den anderen Teilnehmern. Ich halte mich vorne eher zurück, während Gabriele und Christian sprechen. Es läuft trotzdem gut, wie man später an den Reaktionen sieht.
Viel aufschlussreicher wird es dann im Vergleich zu den anderen Ländern. Vergleicht man beispielsweise Dänemark und Deutschland miteinander, so fällt auf, dass es gewisse Parallelen bei den Demenzstrategien gibt. Sowohl in Dänemark als auch in Deutschland steigt die Anzahl an demenzerkrankten Bürgern. Diese Entwicklung wird sich als Folge der stets alternden Bevölkerung fortsetzen.
Darum haben beide Länder sich dafür entschieden, diese Herausforderung auf nationalem, strategischem Niveau zu lösen. Dänemark und Deutschlands Demenzstrategien umfassen etwa Bereiche wie die frühe Diagnose und die Selbstständigkeit des Bürgers. In Deutschland hat außerdem die Landesinitiative Demenz-Service NRW in gewisser Weise Vorbildcharakter, was die Aufklärungsfunktion anbelangt, gibt es doch so ein groß angelegtes Netzwerk bis dato in keinem anderen Bundesland auf dieser Ebene.
Auch in Belgien gibt es so wie hier Demenzservice-Zentren; allerdings mit einer etwas anderen Struktur. So existiert dort das Expertisecentrum Dementie Vlaanderen mit zehn weiteren Zentren in Kooperation. Koordiniert wird das Ganze von Antwerpen aus und in Belgien kann man auch eine ähnliche demographische Entwicklung wie in Dänemark und Deutschland beobachten. Das Bevölkerungswachstum ist dort in den letzten Jahren beispielsweise von 15 auf 18,5 Prozent angestiegen, was die über 65-jährigen anbelangt.
Auf der anderen Seite arbeitet man in Luxemburg in der stationären Pflege mit einem besonderen Pflegemodell für Demenzpatienten, das nicht auf den Verstand, sondern auf das Gefühl der Betreuten ausgerichtet ist. Es wird eine Umgebung geschaffen, die Senioren an ihre Kindheit und Jugend erinnern soll.
Auch kann ich mich daran erinnern, dass Stefan Raskop aus Luxemburg einzelne Videos vorstellte, die der Aufklärung dienen, was den Umgang mit Menschen mit Demenz anbelangt. Zu sehen war etwa in einem Video ein älterer Mann mit Demenz, der neben einer Seniorin sitzt und plötzlich beim Essen damit anfängt, zu singen und immer heftiger auf dem Tisch zu klopfen. Das Video zeigt dann auch, wie Pflegende mit so einer Situation auf professionelle Weise umgehen können.
Ich mache mir währenddessen handschriftliche Notizen. Die zwei Präsentationen, an die ich mich im Anschluss recht gut erinnere, sind die von Gabriele vom Demenz Support in Stuttgart und die Vorstellung einer internationalen Präventionskampagne, präsentiert von Jan Steyart vom Expertisecentrum Dementie Vlaanderen.
In diesem Zusammenhang wird ein Projekt vom Demenzsupport mit dem Titel “Kukuk-TV” vorgestellt. Ich kenne das Projekt bereits von meiner Social Media-Arbeit beim DZD. Dieser TV-Sender, den man auf YouTube findet, setzt stark auf gesellschaftliche Teilhabe, was die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz anbelangt.
Kukuk-TV zeigt, wie Menschen dies gelingt. Reportagen, Interviews, Portraits usw. rücken das Tun und die Sichtweisen der Pioniere des Beteiligtseins mal witzig und unterhaltend, mal eingefahrenes Denken hinterfragend und, wo nötig, provokativ in den Blick.
Entscheidend ist dabei, dass alle gleichermaßen an der Produktion beteiligt sind, mit Ausnahme eines professionellen Kameramanns. Die Idee dahinter beruht auf der Radiotheorie von Bertolt Brecht, nach der zufolge der Hörer zum Sender erhoben wird, wie man später auch im Beitrag von Kreutzner erfährt, die auf diese Theorie verweist. Dementsprechend geht es bei KuKuk-TV vor allem auch darum, Menschen mit Demenz an der Produktion zu beteiligen, etwa beim gemeinsamen Musizieren.
Was die Präsentation von Jan Steyart anbelangt, so stellte dieser eine internationale Präventionskampagne vor. Diese startet allerdings erst am 21. September 2018 und so bat er mich auch noch einmal in einer E-Mail darum, nicht die ganzen Details dieser Kampagne im Vorfeld auszuplaudern.
Als einziges Detail möchte ich daher auf den folgenden Punkt eingehen: In Deutschland werden gerade im Verbund mit den anderen europäischen Partnern in Belgien (www.dementie.be), den Niederlanden (www.alzheimercentrum.nl), Norwegen (www.aldringoghelse.no) und Luxemburg (www.croix-rouge.lu) vor dem Hintergrund dieser Kampagne Testimonials von Multiplikatoren gesammelt, die in ein bis zwei persönlichen Sätzen ausdrücken sollen, was diese Personen für sich selbst und ihre Gesundheit tun.
Beispiele sind Laufen oder Radfahren, soziale Aktivität durch ein Ehrenamt, gemeinsame Reisen oder auch Kochen mit Freunden und Familie. Diese Zeugnisse, Referenzen, so die Übersetzung von “Testimonial” sollen sowohl im Web als auch in gedruckter Form in den verschiedenen Ländern veröffentlicht werden, bevor der nächste Weltalzheimertag am 21. September 2018 startet. Und dann wäre da selbstverständlich noch der wichtigste Teil der länderübergreifenden Kampagne – nämlich die Aktionen innerhalb der Bevölkerung, um mehr für das Thema Prävention zu sensibilisieren.
Nach diesem ersten Tag ging es am Abend schließlich nach Tivoli. Das ist ein weltbekannter Vergnügungs- und Erholungspark. Die mit Blumenbeeten und Springbrunnen geschmückte Anlage befindet sich zwischen dem Rathausplatz und dem Hauptbahnhof in Kopenhagen. Und es gibt auch zahlreiche Fahrgeschäfte, wie man das in Deutschland eher von solchen Freizeitparks wie Phantasialand her gewohnt ist. Einige von uns nutzen an diesem Abend zum Abschluss die Gelegenheit, Loopingbahn zu fahren.
Auch wenn ich als Jugendlicher das immer gerne getan habe, so dauerte es doch eine Weile, bis ich mich an diesem Abend zu dieser Aktion hinreißen ließ. Letztendlich war das dann aber doch ein gelungener Tagesabschluss, auch wenn ich während der nicht einmal eine Minute anhaltenden Loopingbahnfahrt doch lieber die Augen geschlossen hielt.
31. Mai: Viel Input mit Kanaltour am Abend
Der nächste Tag bestand aus wahnsinnig vielen Vorträgen, es sind in der Anzahl 13 gewesen, und es würde jetzt an dieser Stelle eher den Rahmen sprengen, zu versuchen, all diese Präsentationen zusammenzufassen.
Daher schildere ich einige Eindrücke und Momente, die sich tiefer in mein Gedächtnis eingegraben haben.
Da wäre zuächst der Vortrag vom Jurn Verschraegen gewesen, der das Expertisecentrum Dementie Vlaanderen in Antwerpen leitet.
Jurn erzählte von einer Bergwanderung in den Himalaya-Gebirgen in Nepal, die 2015 stattgefunden hat. Diese Tour dauerte 10 Tage und drei Menschen mit Alzheimer im frühen Stadium nahmen daran teil – zusammen mit ihren Pflegekräften, Ärzten, einigen erfahrenen Bergführern und anderen Personen.
Jurn zeigte zu dieser Aktion neben Fotos später auch ein Video. Dabei merkt man den Menschen mit Demenz an, dass ihnen diese Tour sichtlich Freude bereitete, auch wenn sie mit einem Lächeln erzählten, dass sie sich nicht mehr wirklich daran erinnern könnten, was all die Tage zuvor bereits geschehen war.
Eine amüsante Anekdote bestand dann in diesem Zusammenhang auch darin, dass einer der Männer mit Demenz einen erfahrenen Alpinisten aus der Patsche half und nicht umgekehrt. Zu sehen war in der Präsentation von Jurn dazu ein Foto mit einer Brücke.
Andere Vorträge, an die ich mich noch recht gut erinnern kann, sind die Präsentationen von Christian, der eine Kampagne vorstellte, und der Vortrag von Christina Kuhn vom Demenz Support in Stuttgart.
Bei Christian ging es inbesondere um die “Tour Demenz”. Innerhalb dieser Kampagne legte Arnd Bader mit dem Fahrrad für den guten Zweck vom 4. bis 6. Juli 2017 knapp 700 km quer durch NRW zurück. Dabei startete die Tour am 4. Juli in Alsdorf, führte zu 13 verschiedenen Demenzservice-Zentren in NRW, und endete schließlich am 6. Juli 2017 in Düsseldorf.
Auch die Präsentation von Christina Kuhn vom Demenz Support Stuttgart hat bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Bei ihrem Vortrag ging es um das Thema “Lernschwierigkeiten und Demenz”. Ich selbst hatte in dem gleichen Panel an diesem Tag auch eine Präsentation abzuhalten. Obwohl ich zunächst leicht aufgeregt war, musste ich später mit Freude feststellen, dass mein Vortrag doch ganz gut angekommen ist. Jedenfalls wurde das durch mehrere Personen bestätigt, die später auf mich zukamen. Es ging um die Arbeit des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD), inbesondere im Bereich des digitalen Wissenstransfers. Hierbei spielen bei uns solche Formate wie der Forschungsnewsletter, das Demenzei oder auch die Podcast-Serie “Die Pflegesprechstunde” eine größere Rolle.
Nach so viel Input gab es dann im Anschluss zur Abwechslung eine längere Kanaltour mit einem Schiff und am Ende noch einen Abendspaziergang durch die Innenstadt von Kopenhagen. Und schon wieder war der nächste Tag vorbei.
1. Juni: Sølund – Ein Pflegeheim für Musikliebhaber
Der letzte Tag ist bei mir in meinem Gedächtnis am stärksten präsent. Dieser Tag ist mit dem Besuch des Pflegeheims Sølund verknüpft. Zunächst die Vorstellung, im Alter zu wählen, für welches Pflegeheim man sich entscheiden würde, wenn es einen Themenschwerpunkt geben würde, eingedenk der Tatsache, dass dies notwendig wäre und man zu dieser Entscheidung – trotz Demenz – noch befähigt wäre.
Denn in Kopenhagen gibt es tatsächlich Pflegeheime, die auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Auf Tiere, Musik und Esskultur. Ich kannte das bis dato nicht von Deutschland. Dabei bedeutet das eben nicht, dass in einzelnen Räumen Musik dargeboten wird oder in bestimmten Bereichen gemeinsam gekocht wird. Das bedeutet, dass das gesamte räumliche Konzept auf ein solches Thema ausgerichtet ist.
Und ja, da in Dänemark anders als in Deutschland, auch steuerlich mehr für die Pflege ausgegeben wird, was die Gehälter und die Absicherung im Alter auf dieser Ebene anbelangt, sind an diesen Orten auch Menschen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten anzutreffen.
Aber selbstverständlich wurde auch genau danach gefragt, als wir zusammen mit Pernille und Tine in Sølund an einem Tisch saßen und erst einmal erfuhren, wie das Ganze funktioniert. Denn wenn das Geld im Alter für den Platz in einem solchen Pflegeheim nicht ausreicht, dann ist es dennoch möglich, in solchen Heimen in Dänemark untergebracht zu werden.
In Sølund kann man quasi überall Musik hören. Und bei den Menschen mit Demenz, die hier häufiger vertreten sind, merkt man auch dann emotionale Regungen, wenn die verbale Sprache nicht mehr richtig funktioniert, etwa im späten Stadium einer Alzheimer-Demenz.
Von Zeit zu Zeit kommen auch einzelne Musiker an diesem Ort, um spontan kleinere Konzerte zu geben. Und es gibt Auszubildende, die Saxophon auf den Gängen spielen. Oder es wird gar spontan für die Heimbewohner DJ-Musik dargeboten. Denn als wir in Kopenhagen waren, fand gerade auch das Distortion-Festival statt.
Jedes Jahr verwandelt sich Kopenhagen in eine utopische Party, wobei Festlichkeiten in verschiedensten Formen und Größen überall aus dem Boden sprießen. Und so sah man zu dieser Zeit überall junge Menschen in den Straßen, die sich zu rhythmischer Musik bewegten.
Die Musik wurde dabei vor allem von DJs beigesteuert, die mit ihren Anlagen und Turntables durch die Straßen zogen. Und auch einzelne Bewohner von Sølund waren Teil dieses Ereignisses, so Pernille und Tine im Gespräch. Denn einzelne DJs besuchten auch ihr Pflegeheim.
Was mir außerdem noch gut in Erinnerung geblieben ist an diesem Tag, ist die Erwähnung und Darbietung einer speziellen Musik-App. Es gibt nämlich in diesem Heim spezielle, mobil einsetzbare Wägelchen, die mit einem Tablet-PC und Boxen verbunden sind. Dabei besteht für die Bewohner die Möglichkeit, dass sie sich ihren eigenen Soundtrack zusammenstellen.
Nur einmal, so Pernille später im Gespräch, kam es zu einem seltsamen Zwischenfall. Es ging dabei zunächst einmal um an sich fröhliche Musik und die eher ungewöhnliche Reaktion einer älteren Dame darauf.
Erst später sollte sich dann in der Übersetzung dieses Liedes mit dem dazugehörigen weiblichen Gesang herausstellen, dass es im vorgetragenen Text trotz der an sich vordergründig fröhlichen Grundstimmung dieser Musik um ein sehr ernstes Thema ging: nämlich um Selbstmord.
Bis dahin hatte das allerdings niemand vermutet, weil die Musik so völlig anders klang. Und die abweisende Reaktion darauf erst einmal wenig nachvollziehbar erschien. Erst die spätere Übersetzung aus einer ferneren asiatischen Sprache heraus konnte endlich für Klarheit in dieser Angelegenheit sorgen.
Nach Sølund folgten noch zwei weitere Ereignisse an diesem bewegenden Tag. Und zwar einmal der Besuch eines Tagesheimes für Menschen, die bereits im frühen Alter an einer Demenz erkrankt sind. Und später ging es zum Abschluss dieses Austausches auch noch in das “Danish Research Centre”.
Ich werde mich wahrscheinlich noch über sehr viele Jahre an diese tolle Bildungsreise erinnern und nehme viele bunte Eindrücke und neue Erkenntnisse mit nach Deutschland.
Ich hätte mir aber genauso gut auch vorstellen können, an diesem Ort noch eine längere Zeit zu verweilen. Am Schluss zirkulierte auch die Idee, einen Dokumentarfilm zu Orten wie Sølund zu drehen.
Es ist eine schöne Vorstellung, weil hier so viele außergewöhnliche Dinge passieren, wenn es um das Thema Demenz geht. Ich nehme diese Vorstellung dementsprechend mit einem inneren Lächeln mit nach Hause
Quellenangabe zu verwendeten Fotos:
- Titelbild Sølund / Foto: Elsebeth Refsgaard Schmidt-Nielsen
- Ankunft in Kopenhagen / Photo credit: magro_kr on Visual Hunt / CC BY-NC-NDH
- Der Erlebnispark Tivoli / Photo credit: st
ë
ve on Visual Hunt / CC BY-NC-ND - Eindrücke vor und während der Bergtour nach Nepal / Fotos: Jurn Verschraegen
- Foto vom Distortion Festival in den Straßen von Kopenhagen / marksdk / photo on flickr
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.