Muße sollte nicht mit Langeweile verwechselt werden. Es geht um Distanz zum hektischen Alltagsgeschehen. Wenig Zeit für Patienten, durchgetaktete Arbeit, übermäßige Dokumentation. Das kennen Sie aus der professionellen Pflege. Ulrich Schnabel hat über die Kunst des Nichtstuns ein kluges Buch geschrieben: einen Diätratgeber für den Geist.
Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsjournalist und führt uns in seinem Buch “Muße. Vom Glück des Nichtstuns” in einem wirklich anschaulichen und unterhaltsamen Stil durch die Welt der Muße und der Müßiggangs. Auch wenn es in diesem klugen Buch nicht um die Pflege von Menschen mit Demenz geht, bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Buch insbesondere auch für professionelle Helfer eine Bereicherung darstellt: und zwar aus zwei Gründen. Zum einen geht es um das Abschalten. Ist es nicht auch einfach mal schön, nicht an Pflege oder an Menschen mit Demenz zu denken? Zum anderen halte ich es für äußerst wichtig, mehr Abstand zu der eigenen Arbeit zu gewinnen und dem Gehirn zwischendurch einfach mehr Pausen zu gönnen. Es gibt in diesem wunderbaren Buch auch viele nützliche Tipps, etwa “Hinweise zum pfleglichen Umgang mit dem Arbeitsgedächtnis”. “Erstellen Sie eine klare Liste Ihrer Prioritäten” oder “Organisieren Sie sich ruhige Arbeitszeiten”. Der Pflegeberuf kann sehr hektisch und herausfordernd sein, umso wichtiger ist diese Frage: “Wie organisieren Sie sich Ihre eigenen kleinen Ruheinseln im häufig stressigen Pflegealltag?”
“Entspannen Sie sich. Das ist wahrscheinlich das Beste, was Sie zur Rettung der Welt beitragen können.” – Fred Luks, Ökonom und Nachhaltigkeitsexperte
Das eigentliche Bravourstück bei Schnabel ist indes sein Spagat: Unterhaltsame Kulturgeschichte berühmter Müßiggänger wie unter anderem Goethe einerseits, wissenschaftliche Reflexion andererseits –von der Philosophie bis zur modernen Hirnforschung. Und dann gibt es obendrein Porträts von solchen berühmten Müßiggängern wie John Lennon – der faule Exzentriker – oder Ernst Pöppel – der Hirnforscher im Bunker. Schließlich sind da noch die lebensklugen Ratschläge von Schnabel. All das wirkt, Sie werden es vermutlich kaum glauben, wie aus einem Guss geschrieben.
Neben den kulturwissenschaftlichen Exkursionen fand ich vor allem einige Hinweise zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bemerkenswert. Schlafen oder das klassische Nickerchen sind beispielsweise wichtig für das Lernen. Ohne ausreichend Schlaf ist man nicht in der Lage, Informationen im Gedächtnis zu verankern und dauerhaft zu behalten. Mit zu wenig Schlaf verlieren wir dagegen die Fähigkeit, Neues zu entdecken und uns weiterzuentwickeln. Auch andere Formen des Nichtstuns und der Muße sind inzwischen wissenschaftlich rehabilitiert. Während wir nichts tun und vielleicht Tagträumen nachhängen, arbeitet unser Gehirn weiter. Das “Gehirn im Leerlauf” steht also nicht still, sondern organisiert sich unbewusst neu. Der Hirnforscher Ernst Pöppel geht gar davon aus, dass wir pro Tag nicht länger als drei bis vier Stunden konzentriert arbeiten können. Denken Sie dabei beispielsweise an den Arbeitsalltag in vielen Krankenhäusern hierzulande.
Wenn Lösungen nicht vom Himmel fallen
Viele Wissenschaftler und Künstler kennen das Phänomen, dass Lösungen ganz plötzlich in den Momenten kommen, in denen man eigentlich mit etwas Anderem beschäftigt ist. So haben etwa Newton und Gauß wichtige Entdeckungen buchstäblich im Schlaf gemacht. Auch in Pflege und Gesundheit kann ich mir solche Momente vorstellen. Man ist vielleicht mit seinem Latein in der Behandlung und Versorgung eines einzelnen Patienten am Ende, ratlos, was dessen Verhalten anbelangt. Erst der Abstand zündet womöglich die Idee und läutet einen anderen Blickwinkel auf die Problemkonstellation ein. Im besten Falle verstehen wir somit erst in einer ganz anderen Situation wesentlich besser, worin das Problem des Patienten bestand. Oder anders formuliert: Während Sie sich mit etwas Anderem beschäftigen, gelangen Sie zur eigentlichen Problemlösung.
In diesem Zusammenhang kann auch das Meditieren Ihre geistige Vitalität bereichern. Meditieren gilt längst nicht mehr als esoterische “Spinnerei”, sondern inzwischen wissen wir, dass Meditierende ihr Gehirn trainieren. Meditation macht sowohl gelassener als auch konzentrierter und verbessert die Wahrnehmungsfähigkeit. Darüber hinaus ist Meditieren dazu geeignet, zufriedener und glücklich zu machen. Und auch hier sorgen wir für Abstand; für eine Geistesdiät auf Zeit.
Fazit: Warum auch Pflegende von diesem Buch profitieren
Ein wirklich tolles Buch! Schnabels Verbindung aus Wissenschaftsprosa, Zeitdiagnose und lebenspraktischen Hinweisen liest sich wunderbar und der Leser lernt sehr viel über die Gesellschaft und das Problem, heute Muße zu finden. In Gesundheitsberufen gilt das vielfach verschärft, denn hier können wir häufiger noch wesentlich weniger über unsere freie Zeit verfügen, was bei Pflegenden etwa in der Klage mündet, über zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Beruf zu verfügen, obwohl doch gerade dieser Beruf an sich vielfach zur Gestaltung einlädt! Pflegende kommen bei der Lektüre dieses Buches auf andere Gedanken; es geht vor allem um kluge Impulse und Kontemplation beim Lesen. Es lohnt sich also, es sich beispielsweise am nächsten Sonntag auf der Couch gemütlich zu machen und in dieses Buch einzutauchen.
Das Buch “Muße. Vom Glück des Nichtstuns” von Ulrich Schnabel ist 2012 im Karl Blessing Verlag erschienen. Hier der Link zum Buch.
Quellenangaben zu den Fotos:
Foto: Fritz n’ Franz / www.flickr.com
Foto: Pauline S. / www.flickr.com
Foto: theblack.swan / www.flickr.com
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.