In der NEXT-Studie wurden mehr als 40.000 professionell Pflegende zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf befragt. Dabei zeigte sich anhand dieser Forschungsstudie, dass in Deutschland im Vergleich zu solchen Ländern wie unter anderem Finnland, Frankreich und Großbritannien vor allem die quantitativen Anforderungen überdurchschnittlich hoch sind.
Die NEXT-Studie ist ein europäisches Forschungsprojekt zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf. Das Akronym NEXT steht für die englischen Begriffe nurses’ early exit study. Das Besondere an dieser Studie ist die Größendimension: Die Ergebnisse lassen einen Vergleich zwischen zehn europäischen Ländern zu, was die Arbeitssituation von Pflegepersonal und die Ursachen für den vorzeitigen Berufsausstieg anbelangt. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Ergebnisse der deutschen Basiserhebung, die in der Form eines zusammenfassenden Berichts im Jahr 2005 veröffentlicht worden sind.
Allgemeine Angaben zur NEXT-Studie
Die NEXT-Studie wurde als Längsschnittstudie angelegt, die in allen beteiligten Ländern in der gleichen Art und Weise durchgeführt wurde. Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulante Pflegedienste sind dabei mit einbezogen worden. In mehreren Durchgängen wurden Fragebögen an Pflegekräfte und eine Checkliste an die beteiligten Institutionen gesendet. Insgesamt haben fast 40.000 Pflegende in Belgien, Deutschland, Frankreich, Finnland, England, Italien, Niederlande, Norwegen, in Polen und der Slowakei teilgenommen. Dabei fasst der Bericht aus dem Jahr 2005 die Ergebnisse der deutschen Basiserhebung zusammen, an der sich 16 Krankenhäuser, 29 Alten-/Pflegeheime und 30 ambulante Pflegedienste in 13 Bundesländern beteiligten. Hierbei wurden 6.484 Pflegende angeschrieben und 3.565 sendeten den Fragebogen zurück (NEXT-Studie 2005: 6-7).
Die NEXT-Studie wurde finanziert durch die Europäische Union und von der Bergischen Universität Wuppertal, Fachbereich D – Abt. Sicherheitstechnik, Arbeitssicherheit/Ergonomie, begleitet. Die Europäische NEXT-Studie wird geleitet durch PD Dr. H.-M. Hasselhorn und Prof. Dr. B. H. Müller. Die deutsche Erhebung wurde durch die private Universität Witten/Herdecke koordiniert und durchgeführt.
Studiendesign
Bei der NEXT-Studie handelt es sich um eine Längschnittsstudie mit insgesamt vier Erhebungszeitpunkten. Als Längsschnittstudie bezeichnet man einen Studientyp, bei dem über einen definierten längeren Zeitraum hinweg eine Stichprobe hinsichtlich festgelegter Merkmale untersucht wird. Hierzu werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten Messdaten erhoben. Die Erhebung erfolgte mittels standardisierter Fragebögen. Die Basisbefragung in der NEXT-Studie richtete sich an alle Studienteilnehmer (2002/2003). Die erste Folgeerhebung befragte die Pflegenden, die ihre Einrichtung in den zwölf Monaten nach der Basisbefragung verlassen haben. Die zweite Basisbefragung wandte sich nach etwa einem Jahr an alle Teilnehmer, die in ihren Einrichtungen verblieben sind. Die abschließende Befragung richtete sich erneut an die Berufsaussteiger.
Dieser Artikel bezieht sich auf die Ergebnisse der deutschen Basiserhebung für alle 75 Einrichtungen, die zwischen November 2002 und Mai 2003 an der NEXT-Studie teilgenommen haben.
Wesentliche Erkenntnisse
Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass in Deutschland vor allem die quantitativen Anforderungen überdurchschnittlich hoch sind: Dies bezieht sich insbesondere auf die Anforderungen in Alten-/Pflegeheimen (NEXT-Studie 2005: 53). Diese quantitativen Anforderungen führen auf der anderen Seite wiederum zunehmend zu Burnout, steigenden Fehlzeiten und zu der vermehrten Absicht, das Berufsfeld zu verlassen. Zudem lässt sich eine Krise des Pflegemanagements in den Alten-/Pflegeheimen beobachten. Ab einer bestimmten Größe der Einrichtungen steigen dementsprechend auch die sozialen Spannungen und der psychosoziale Stress (unter anderem bedingt durch Feindseligkeit und fehlende Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten untereinander).
Derartige Rahmenbedingungen erschweren in den Alten-/Pflegeheimen den Umgang mit demenzkranken Patienten, besonders, wenn herausfordernde Verhaltensweisen wie unter anderem Aggression und Apathie auftreten. Viele Pflegende befinden sich an der emotionalen Belastungsgrenze oder haben diese bereits überschritten. Deshalb fehlen die psychischen, emotionalen und sozialen Ressourcen für einen angebrachten Umgang mit zum Teil aggressiven und unfreundlichen Patienten (NEXT-Studie 2005: 54). Eine qualitativ hochwertigere Pflege von Personen mit Demenz kann unter diesen Rahmenbedingungen sicherlich nur sehr bedingt gewährleistet werden.
Fazit: Wie kann man den vorzeitigen Berufsausstieg aus der Pflege vermeiden?
Ein vorzeitiger Berufsausstieg aus der Pflege könnte vor allem dann vermehrt vermieden werden, wenn sich die Rahmenbedingungen hierzulande radikal verändern würden. Dazu gehören pflegesensiblere Arbeitszeiten, mehr Wertschätzung von Vorgesetzten und Kollegen untereinander, bessere Organisation und transparenterer Informationsaustausch, sowie eine andere Bezahlung und Anerkennung des Pflegeberufs.
Insbesondere kommt in Deutschland erschwerend hinzu, dass die quantitativen Anforderungen im europäischen Vergleich besonders hoch ausfallen: Dies hängt zum einen mit einem schlechten Personalschlüssel zusammen, was das Verhältnis von professionellen Helfern und Patienten anbelangt (im Durchschnitt ist eine Person für zehn Patienten zuständig), andererseits aber auch mit ausufernden Sekundäraufgaben zusammen, etwa der Pflicht zur Dokumentation, die immer noch einen starken Stellenwert in der professionellen Pflege einnimmt, auch wenn seit Anfang 2015 verstärkt von einer “Entbürokratisierung der Pflegedokumentation” auf gesetzlicher und politischer Ebene die Rede ist.
Weiterführende Literatur:
- Offizielle Website zur NEXT-Studie, siehe: http://www.next.uni-wuppertal.de/
- Simon, M.; Tackenberg, P.; Hasselhorn, H.-M.; Kümmerling, A.; Büscher, A.; Müller, B.H. (2005): Auswertung der ersten Befragung der NEXT-Studie in Deutschland.
Quellenangabe zum Titelfoto:
Foto: takis katris / www.flickr.com
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.