Selbstmotivation für Pflegende: Die WOOP-Strategie

Die Pflege von Menschen mit Demenz kann mit vielen Herausforderungen und Hindernissen verbunden sein. Wie kann es Pflegenden dennoch gelingen, sich immer wieder neu zu motivieren? Psychologen haben erforscht, wie dieser Drahtseilakt funktioniert und daraus eine Methode entwickelt.

Mehr Zeit für die Arbeit an Beziehungen in der Pflege? Und das neben all den anderen Aufgaben, die ansonsten noch anliegen? Wie können wir uns dazu motivieren? Indem wir uns mental mehr mit den Hindernissen beschäftigen, haben Forscher wie Gabriele Oettingen entdeckt. Welche Verhaltensweise, welcher Gedanke oder welches Gefühl hindert uns an der Wunscherfüllung?

WOOP ist eine Motivationsmethode, in deren Zentrum Imaginationsprozesse stehen, die neue kognitive Verbindungen im Gehirn knüpfen. Diese sollen dann die gewünschte Verhaltensänderung bewirken. Dabei stehen die vier Buchstaben W, O, O, P als Akronym für folgende Begriffe: 1. Wunsch (Wish), 2. Ergebnis (Outcome), 3. Hindernis (Obstacle) und 4. Plan (Plan).

Als ich neulich das erste Mal von dieser Methode erfahren habe, war ich wirklich neugierig. Da ich mich schon seit vielen Jahren mit den Themen Selbstmanagement und Persönlichkeitsentwicklung beschäftige und dazu auch bereits ein E-Book für professionell Pflegende auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und eigenen Erfahrungswerten im Auftrag des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) geschrieben habe, befasse ich mich auch immer wieder mit einzelnen Methoden, die uns die Arbeit erleichtern können. Die Frage nach der Selbstmotivation ist dabei ein ganz zentrales Thema!

Warum positives Denken alleine nicht ausreicht

In der Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz ist Motivation sicherlich neben Empathie, Kontaktfreudigkeit, Belastungsfähigkeit und Disziplin ein grundlegender Faktor. Schaut man sich allerdings die Rahmenbedingungen genauer an, die häufig in der professionellen Pflege anzutreffen sind, etwa in der stationären Pflege, so gibt es zahlreiche Herausforderungen und Hindernisse zu meistern.

Häufig wechselnde Schichtdienste, relativ wenig Personal, schlechte Bezahlung und fehlende Anerkennung sind einzelne Belastungsfaktoren, die immer wieder genannt werden, genauso wie herausfordernde Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz (etwa Apathie und Aggression) oder die Einsicht, dass Pflegende für Menschen sorgen, die sie in vielen Fällen bis an ihr Lebensende begleiten werden, ohne dass sich deren Zustand wesentlich verbessern würde, denn die Aussicht auf Besserung der Demenzerkrankung liegt praktisch bei null.

Wäre ich jetzt ein Zyniker, so könnte ich das Thema der Selbstmotivation in diesem Zusammenhang tatsächlich für einen schlechten Witz halten. Eigeweihte schätzen allerdings an der Pflege auch all die Dinge, die wir in anderen Berufen sicherlich länger suchen müssen: intensive zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen beispielsweise, eine Arbeit, die wirklich Sinn macht, ein Beruf mit viel Abwechslung und Verantwortungsbewusstsein.

Forscher konnten bereits aus einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien belegen, dass wir unsere Ziele eher erreichen, wenn wir uns auch mit den Hindernissen beschäftigen, die uns bei der Erreichung unserer Ziele im Weg stehen. Für die Motivationspsychologie stellt das einen Paradigmenwechsel dar. Und in der Pflege von Menschen mit Demenz finden wir ein hervorragendes Beispiel für die Anwendung dieser Erkenntnisse: Denn positive Psychologie alleine führt in diesem herausfordernden Arbeitsumfeld sicherlich nicht besonders weit!

Der Paradigmenwechsel

Während sich in der Vergangenheit die Psychologie hauptsächlich mit Therapie und Heilung von psychischen Problemen beschäftigte und versuchte zu klären, was uns unglücklich macht, steht seit den 1990iger Jahren auch die Frage im Raum, was uns glücklich macht oder wie wir glücklich werden. Allerdings hat die positive Psychologie über lange Zeit alle negativen Aspekte ausgeblendet, nämlich jene Aspekte, die der “Wunscherfüllung” im Weg stehen.

Für Psychologinnen wie Gabriele Oettingen oder Biologinnen wie Barbara Ehrenreich stellten einzelne Glaubenssätze der positiven Psychologie tatsächlich ein Problem dar. Jahrelang, so etwa die Überzeugung von Oettingen, hat die positive Psychologie den Menschen eingetrichtert, dass wir nur optimistisch sein müssten, fest an uns glauben und unsere Ziele mit höchster Konzentration verfolgen sollten, um erfolgreich zu sein. Dieses Mantra hat sich mittlerweile jedoch wissenschaftlich betrachtet als viel zu einseitig erwiesen, wenn es um die Wirksamkeit von Selbstmotivation geht (siehe dazu auch das Video-Interview mit Oettingen im Anschluss).

In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen konnte die experimentelle Psychologin Oettinger belegen, dass eben nicht das positive Denken der entscheidende Faktor bei Motivation und aktivem Handeln ist, sondern insbesondere auch der Realitätsbezug in der eigenen Zielsetzung: 1. Was wünsche ich mir wirklich, 2. Wie fühlt es sich an, am Ziel zu sein?, 3. Was steht mir vor dem Ziel im Weg? und 4. Wie umgehe ich meine eigenen Hindernisse?

Zu dieser Einsicht gelangte Oettingen in ihrer Forschung, als sie entdeckte, dass diejenigen Studienteilnehmer, die von ihren großen Erfolgen bei der Jobsuche nach dem Studium träumten, weniger Angebote erhielten als jene Berufseinsteiger, die auch negative Gedanken zuließen und sich die Beschwerlichkeiten auf dem Weg zur Wunscherfüllung vorstellten.

“Wenn wir uns zu sehr unseren Tagträumen hingeben, verlieren wir die Energie, die wir zum Handeln brauchen.” Gabriele Oettingen

Die WOOP-Strategie in der Pflege von Menschen mit Demenz

Angenommen Sie wollten in der Zukunft in der Pflege von Menschen mit Demenz mehr Zufriedenheit und weniger Stress erreichen, so halte ich das Glücksversprechen der positiven Psychologie an dieser Stelle für wenig zielführend: Sätze wie “Seien Sie möglichst immer freundlich zu ihren Klienten” oder “Konzentrieren Sie sich mehr auf das Positive an Ihrer Arbeit” können gewissermaßen zum “Sprengstoff” in der Versorgung von Menschen werden, wenn wir Belastungsfaktoren zunehmend mehr ausblenden und beispielsweise häufig damit beschäftigt sind, negative Gefühle und innerliche Aggressionen bereits im Keim zu ersticken.

Auf Dauer stellt die Motivation in solchen Fällen eher ein Problem dar. Bildlich gesprochen: Ein Pfleger als Langstreckenläufer im Parcours von herausfordernden Menschen mit Demenz und den nicht selten strafferen Managementvorgaben “von oben” wird nur schwerlich sein Ziel erreichen, wenn der Ratschlag lediglich lautet, sich einfach nur auf das Positive zu konzentrieren und dabei das Ziel vor Augen zu behalten.

Stellen Sie sich beispielsweise einen Pfleger vor, nennen wir ihn Peter, der einen 85-Jährigen an Alzheimer erkrankten Mann pflegt, nennen wir ihn Herrn Rösner, und der bereits zu Beginn seinen Pfleger fragt, in welcher Einheit er gedient hätte. Nun antwortet Peter, dass er nicht beim Bund gewesen sei, und Herr Rösner schnauzt Peter daraufhin immer wieder an: “Warum hast du nichts Vernünftiges gelernt?”. Anfangs machte Peter das nichts aus, “Da stehe ich drüber”, sagte er sich immer wieder, da denke ich positiv, denn schließlich verfolge ich ja aktuell in meinem Job das Ziel, mehr Zufriedenheit und weniger Stress zu erreichen. Was glauben Sie? Wie lange wird die Motivation von Peter in unserem Fallbeispiel wohl reichen? Wird Peter am Ende sein Ziel erreichen?

1. Wunsch (Wish)

Unser Pfleger hat vor einiger Zeit die WOOP-Strategie entdeckt und seinen bisherigen Ansatz noch einmal überdacht. Wie könnte nun die Anwendung der WOOP-Strategie in unserem Fallbeispiel bei Peter aussehen? Peter denkt länger darüber nach, was er eigentlich erreichen will. Nach längeren Überlegungen gelangt er zu der Überzeugung, dass er sich nicht mehr so häufig über einzelne Klienten aufregen will und gelassener agieren möchte, um mehr Lebensqualität zu gewinnen. Dann formuliert er seinen Wunsch in wenigen Worten: Ich möchte mich in Zukunft weniger aufregen.

2. Ergebnis (Outcome)

Peter stellt sich vor, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er bereits am Ziel angelangt wäre. Was wäre dabei wohl das Allerschönste? Da gibt es beispielsweise eine ältere Dame, die er pflegt, die immer so bewegende Geschichten erzählt. Aber weil Peter häufig so gestresst ist, hat er kein Ohr mehr für diese Geschichten. Er stellt sich einige dieser Geschichten vor seinem inneren Auge vor: beispielsweise die Geschichten von Frau Schuster über ihre Arbeit als Musiktherapeutin an einer Klinik für Psychiatrie, und wie Frau Schuster es in diesem Umfeld schaffte, mit Musik für wirklich außergewöhnliche Momente zu sorgen, als sie noch als Therapeutin arbeitete. “Das fühlt sich wirklich gut an”, denkt sich Peter. “Die Musik und die Leute, da bekomme ich sogar manchmal Gänsehaut.”

3. Hindernis (Obstacle)

Was ist es, was Peter davon abhält, sich seinen Wunsch zu erfüllen? Welche Verhaltensweisen, welcher Gedanke oder welches Gefühl hindert Peter an der Wunscherfüllung? Es sind vor allem seine innerlichen Aggressionen, die immer wieder in ihm aufkochen, wenn er mit solchen Menschen wie Herrn Rösner zu tun hat. Dann ist er häufig so verärgert, dass er vor lauter innerer Wut aus dieser Schleife nicht mehr so recht herausfindet. Und dann muss er auch immer wieder an seinen Vater denken, der auch nie so richtig nachvollziehen konnte, warum Peter eigentlich als Pfleger arbeitet.

4. Plan (Plan)

Was kann Peter unternehmen, um sein Hindernis zu überwinden? Peter überlegt sich zwei Dinge als Alternative: einen Gedanken in wenigen Worten und eine Handlung. Das Schema: Wenn mein Hindernis auftritt, dann werde ich folgendermaßen handeln. Wenn A dann B oder C. Alternativer Gedanke: Wenn ich mich mal wieder über Herrn Rösner aufrege, werde ich an die bewegenden Geschichten von Frau Schuster denken. An die bewegenden Momente, die sie durch Musik ausgelöst hat. Alternative Handlung: Wenn mir die Pflege von Herrn Rösner tatsächlich “zu bunt” wird, werde ich die Zuständigkeit als Bezugspflegekraft von Herrn Rösner mit einer Kollegin tauschen, mit der ich mich wirklich gut verstehe.

Fazit

Das Ziel dieses Beitrags bestand nicht darin, Ihnen jetzt die WOOP-Strategie zu verkaufen. Mir leuchtet jedoch ein, dass wir unsere Ziele nur erreichen können, wenn wir uns auch mit den Hindernissen intensiver auseinandersetzen. Und davon gibt es in der Pflege von Menschen mit Demenz eine Menge. Resignation ist darauf sicherlich nicht die passende Antwort! Den Engpass der Methode sehe ich da, wo auch die Alternativen an ihre Grenzen stossen. Da sollten wir manchmal noch einen Schritt weiter gehen. Wenn es beispielsweise auf der Ebene des Managements einer Pflegeeinrichtung nicht erwünscht ist, dass Peter die Zuständigkeit als Bezugspflegekraft wechselt, obwohl er wirklich arge Probleme mit Herrn Rösner hat, dann hilft auf Dauer nur noch eine Strategie – und zwar nach gründlichem Abwägen von Optionen: die Exit-Strategie. Denn neben der Selbstmotivation spielt auch das organisationale Umfeld, die Kultur eines (Sozial-)Unternehmens, eine entscheidende Rolle.

Quellenangabe zum Titelbild:

This makes me smile / Foto: John Piercy / flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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