Das letzte Tabu: Ungewöhnlicher Ratgeber

Was wissen wir über die sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, die in Pflegeheimen untergebracht sind? Ein ungewöhnlicher Ratgeber aus England sorgt für Aufklärung und schafft Einblicke in ein Themenfeld, das nach wie vor nur wenig erforscht ist.

Denken wir an Sexualität, so denken wir zuallererst an junge agile Menschen, die intim miteinander werden. Dass auch ältere Menschen sexuelle Bedürfnisse haben und Menschen mit Demenz, wird bei diesem Thema immer noch gerne ausgeblendet. Umso wichtiger ist es, der Sexualität in diesem Zusammenhang mehr Raum zuzugestehen, und der Frage nachzugehen, wie die sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz aussehen und inwieweit diese Bedürfnisse – etwa in Pflegeheimen – überhaupt ausgelebt werden können.

Bereits im Jahr 2011 erschien in England eine Informations-Broschüre, an der sich verschiedene Experten und Wissenschaftler aus Medizin, Gesundheit und Pflege beteiligten, um der Frage nach den sexuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz näher auf den Grund zu gehen und dabei auch unser mittlerweile angestaubtes Bild von Sexualität im Alter in Frage zu stellen. Diese Broschüre ist nach wie vor sehr empfehlenswert: “The last taboo. A guide to dementia, sexuality, intimacy and sexual behaviour in care homes” (zu Deutsch: “Das letzte Tabu. Ein Ratgeber zu Demenz, Sexualität, Intimität und sexuellem Verhalten in Pflegeheimen”).

Das letzte Tabu

Im Zentrum der Broschüre steht die nähere thematische Auseinandersetzung mit einem ganzheitlichen Verständnismodell von Demenz. Statt den Fokus auf die kognitiven Defizite im Alter zu legen und damit auch die sexuellen Bedürfnisse zu stigmatisieren, wird hier ein person-zentriertes Verständnis von Demenz zur Basis erhoben, das in Wechselwirkung zu anderen biopsychosozialen Einflussfaktoren steht. Vereinfacht ausgedrückt: Die Frage nach Intimität und Sexualität in der Pflege von Menschen mit Demenz ist auch eine Frage nach den Rahmenbedingungen, in der Pflegende und andere professionelle Helfer mit dementen Menschen interagieren. Wenn die professionellen Helfer beispielsweise selber im Umgang mit Sexualität ein negatives Bild von Sexualität im Alter haben, wird es wohl kaum gelingen, sexuelle Bedürfnisse von Menschen mit Demenz wirklich anzuerkennen. Dafür ist eine andere Sichtweise von Sexualität im Alter notwendig und eine andere Kultur.

Zudem hängt Sexualität im Alter mit biologischen und medizinischen Einlfussfaktoren zusammen, die auf die Psyche einwirken und damit auch auf die intimen Bedürfnisse einer Person. Darüber hinaus klärt die empfehlenswerte Infobroschüre aus England ebenso darüber auf, wie sich Sexualität – bedingt durch spezifische Demenzformen – verändern kann und welche besonderen Herausforderungen auf Pflegende zukommen. So wissen wir beispielsweise, dass die Alzheimer-Demenz im frühen Stadium zu einer starken Enthemmung führen kann und damit auch zu einem “ungewöhnlichen” Sexualverhalten.

Die Tagung zum Thema Sexualität

Das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) widmet dem Thema Demenz und Sexualität eine eigene Tagung, die am 24. Februar 2016 an der Universität Witten/Herdecke in der Zeit von 9 bis 17 Uhr stattfinden wird. Auch wir sind der Meinung, dass mehr Raum für sexuelle Bedürfnisse von Menschen mit Demenz bestehen sollte. Dazu gehört auch ein verändertes Bild von Sexualität im Alter.

Wie immer werden wir solche Themen zunächst aus wissenschaftlicher Sicht beleuchten: Gibt es beispielsweise emprirische Studien, die danach fragen, wie sich Demenz auf Sexualität auswirkt? Oder ändert sich etwa die Beziehungen von Paaren, wenn einer der Partner Demenz bekommt? Neben diesen Fragen werden wir uns ebenso ganz praktischen Fragen aus der professionellen Pflege zuwenden. So wird etwa konkret danach gefragt, wie der Umgang mit Sexualität in professionellen Pflegeeinrichtungen aussieht, und wie man sich auf die sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz besser einstellen kann. Schließlich spielen auch ethische und rechtliche Aspekte eine Rolle.

Der Eintritt zur Tagung beträgt 50 Euro. Arbeitssuchende, Studierende und Schüler erhalten freien Eintritt. Für diese Gruppe liegt ein begrenztes Kontingent an Karten vor. Voranmeldungen zum vierten Newletter-Day des DZD werden unter folgender E-Mail Adresse entgegengenommen: dialogzentrum@uni-wh.de. Unsere Mitarbeiterin Frau Koch wird sich bei Ihnen melden!

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: naiveartworks / www.flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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