In der Fachwelt besteht Einigkeit, dass in der Pflege von Menschen mit Demenz eine sinnvolle Beschäftigung unabdingbar ist. Was bedeutet das aber für die Beschäftigung von Männern? Wie sehen deren Bedürfnisse im Spiegel der Zeit aus? Männer, die noch den Krieg erlebt haben, die zur Generation der 68er gehören, oder der heutige moderne Mann.
Männer, die noch den Krieg erlebt haben, sind heute vielfach pflegebedürftig und leiden teilweise auch an Demenz. Die nächste Generation von Männern, die nach der Kriegs- und Nachkriegsgeneration folgt, sind die 68er. Dabei ist das Männerbild keine feststehende Größe. Neben einigen Grundbedürfnissen wandeln sich die Ansprüche mit der Zeit. Sozialisation und Gesellschaft prägen das Männerbild gleichermaßen. In diesem Beitrag geht es um die Frage, wie sinnvolle Beschäftigung von Männern mit Demenz aussehen kann, und wie sich die Bedürfnisse von Männern im Laufe der Zeit gewandelt haben.
Von den Kriegskindern zum modernen Mann
Wenn ich mich mit meinem Onkel unterhalte, der mittlerweile über 70 Jahre alt ist, gewinne ich häufig den Eindruck, dass sich heutige Männer zumindest in einigen Punkten stark von dieser Generation unterscheiden: von den Kriegskindern. Die Schulzeit war bei diesen Kindern alles andere als schön, es gab noch die Prügelstrafe, viele Familien waren arm und einige wichtige Familienmitglieder wie die Väter sind erst gar nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen, sondern gefallen. Heute kann man sich das kaum noch vorstellen, was für ein raues Klima damals vorherrschte, wenn man so wie ich in der Wohlstandssphäre aufgewachsen ist, geboren 1977.
Viele Männer aus der Kriegszeit reden häufig nur sehr ungern über ihre Gefühle. Viele erstgeborenen Jungen mussten – da der Vater in Gefangenschaft oder gefallen war – den Vater im Zuhause ersetzen und konnten gar nicht Kind sein. Die Mädchen haben neben dem Verlust des Vaters häufig andere traumatisierende Erfahrungen wie Vergewaltigung und Vertreibung gemacht.
Schaut man sich die Themen an, für die sich viele Männer aus dieser Generation begeistern können, so gibt es doch auch hier starke Unterschiede zum modernen Mann. Ich habe mir jedenfalls schon mehrfach die Frage gestellt, was mich an folgenden Themen interessieren würde, sollte ich eines Tages der Bewohner eines Pflegeheims sein.
Als da hätten wir folgende Themen, die männliche Kriegskinder interessieren:
- Aktivitäten rund um das Thema Sport
- Arbeit mit Werkzeugen unterschiedlicher Art
- Berufe
- Militär
- Eisenbahn
- Radio/Medien
- Geld, Rente, Einkommen
- Zeitungen
- Männerclub gründen und beispielsweise Karten spielen
- Hobbies
Heutige Männer waren in den meisten Fällen nicht beim Militär, interessieren sich auch nicht für Eisenbahnmodelle, sammeln keine Briefmarken und spielen eigentlich auch nur selten Karten. Zumindest gilt das für jene Männer, die ich aus meinem Bekanntenkreis kenne. Allerdings sind das auch alles Männer, die in Großstädten wie Düsseldorf, Köln oder Berlin leben. Was dagegen einigermaßen thematisch konstant geblieben ist, sind solche Interessen wie Sport, Technik und Beruf. Das wären Beispiele für Themen, die scheinbar über die Generationen hinaus von Relevanz sind.
Der Übergang von der Kriegszeit zum Nachkriegsdeutschland bis zur 68er Generation (siehe Bild oben) brachte eine veränderte Gesellschaft hervor und mit ihr auch ein verändertes Männerbild. Waren zuächst Werte wie Familie und Sicherheit von großer gesellschaftlicher Bedeutung, so rückte mit den 68ern der Individualismus und das Thema der Selbstverwirklichung mehr in den Vordergrund. Die Interessen von Männern und Frauen differenzierten sich im Zuge der späten 1960iger Jahre immer weiter aus, auch im Zuge der sexuellen Revolution, bis hin zum heutigen modernen Männerbild. Böse Zunge sprechen aktuell von der Verweiblichung des Mannes: Männer, die ihre Haut mit Feuchtigkeitscremes pflegen und sich um die Kinder kümmern. Bemerkenswert ist dabei die Frage, wie wir uns in Zukunft in den Pflegeheimen auf die Ausdifferenzierung von Bedürfnissen unter Männern einstellen können, denn schon bald werden dort ganz andere Männergenerationen untergebracht sein.
Männer mit Demenz
Der Hauptteil der professionellen Pfleger in Heimen sind nach wie vor Frauen. Schon hier stellt sich die Frage, wie Frauen die Bedürfnisse von Männern überhaupt “richtig” einschätzen können. Sieht man von einzelnen Grundbedürfnissen ab, so gibt es zumindest einige Erfahrungen von Pflegekräften in verschiedenen Einrichtungen, die von den Bedürfnissen von Männern mit leichter bis mittelschwerer Demenz handeln. Die Mitarbeiterinnen meinen, dass Männer mit Demenz in der Regel anspruchsloser seien als Frauen. Es heißt, sie seien leichter zu führen, abzulenken und zufrieden zu stellen, wie beispielsweise aus einem Basisartikel des Theologen und Pflegeexperten Christian Müller-Hergl aus der Fachzeitschrift “pflegen: Demenz” hervorgeht (Müller-Hergl 2010: 28).
Manchmal könne man außerdem an berufliche Tätigkeiten anknüpfen. Viele Männer kreisten inhaltlich um Themen wie Geld, Rente und das eigene Haus, was sicherlich auch heute noch für den modernen Mann gilt, nur dass noch zusätzlich das Privatleben eine größere Rolle spielt. Denn zusätzlich zum perfekten Job hat der Mensch im 21. Jahrhundert am besten auch ein perfektes Privatleben. Hier ergeben sich also bei zukünftigen Männergenerationen weitere Anknüpfungspunkte, etwa Extremsport und ganz exotische Urlaubserlebnisse. Allerdings darf dabei auch nicht vergessen werden, dass die Kontrolle über Identitätsdimensionen wie bisherige Beruflichkeit, die familiären Rollen, das bisherige Freizeitverhalten sowie die erzielte Lebensleistung, mit dem Schweregrad der Krankheit allmählich zerbröckelt. Was indes bleibt, sind die Fragmente: Erinnerungen an besondere Momente aus dem eigenen Beruf, dem Familienleben und die wirklich gelebte Zeit.
Weiterführende Literatur:
- Christian M.-H. (2010): Was machen wir denn mit den Männern? In: pflegen: Demenz 15 Ι 2010, S. 28-32.
- Radebold, H. (2010): Abwesende Väter und Kriegskindheit: Alte Verletzungen bewältigen. Stuttgart: Klett-Cotta.
- Franz, M. / Karger, A. (2015): Neue Männer – muss das sein?: Risiken und Perspektiven der heutigen Männerrolle. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Quellenangaben zu den Fotos:
Foto: Neil Moralee / www.flickr.com
Foto: Metropolico.org / www.flickr.com
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.