Buchempfehlung: Sexualität im Alter

Sexualität im Alter wird nach wie vor tabuisiert. Das Thema wird aber in der Pflege immer wichtiger, denn mit der Erhöhung der Lebenserwartung verändert sich auch die Rolle der Sexualität im Alter. Das Buch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter” beleuchtet die Zusammenhänge von Liebe und Sexualität im Alter aus der Perspektive der Gerontologie und geht dabei auch auf Demenz ein.

Es gibt aktuell nur wenig Studien aus der Wissenschaft, die sich mit Sexualität im Alter beschäftigen oder noch spezieller mit dem Zusammenhang von Sexualität im Alter und Demenz. Für Pflegende ist dieses Thema insofern von relativ großer Bedeutung, weil unsere Lebenserwartung kontinuierlich ansteigt und damit auch das Bedürfnis, bis ins hohe Alter Sex zu erleben – sei es als Single oder in einer Partnerschaft, als hetero- oder homosexuelle Person.

Ich möchte Ihnen das Fachbuch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter”, welches 2013 im GRIN Verlag erschienen ist, deshalb empfehlen, weil es leider noch viel zu wenige Bücher zu dieser Thematik gibt. Und zwar Bücher, die verständlich geschrieben sind und einen ersten guten Überblick über dieses Thema aus wissenschaftlicher Sicht vermitteln.

Allerdings möchte ich gleichzeitig auch darauf hinweisen, dass dieses Buch rein konzeptionell betrachtet, besser umgesetzt sein könnte. Das Buch beinhaltet eine eher lose Sammlung von Fachartikeln mit unterschiedlichen Fragestellungen zur Sexualität im Alter, die nicht wirklich gekonnt aufeinander bezogen werden. Genau deshalb gibt es auch eine Menge inhaltliche Wiederholungen zwischen den einzelnen Kapiteln. Das soll Sie jetzt jedoch nicht abschrecken, denn das Thema ist wirklich spannend!

Was erfahren wir in diesem Buch über Sexualität im Alter? Wie sieht es mit dem Umgang mit Sexualität in Pflegeeinrichtungen aus? Und wie äußert sich das Bedürfnis nach Sexualität bei Menschen mit Demenz?

Sexualität im Alter

Sexualität im Alter ist nach wie vor tabuisiert. Das überrascht wahrscheinlich niemanden! Immer noch leben wir in einem Zeitalter, in dem Sexualität im Alter sehr häufig noch als sittlich und moralisch anstößig bewertet wird und das, obwohl es immer mehr ältere Menschen gibt!

Stattdessen idealisieren wir den jugendlichen Körper, Männer und Frauen, die schön anzuschauen sind, sportlich und leistungsbezogen, eher auf physische Merkmale reduziert. Auf der anderen Seite haben wir das Bedürfnis von älteren Menschen nach Sexualität, auch wenn diese Vorstellung häufig immer noch ein Problem darstellt. Ich muss dabei daran denken, wie uns die Vorstellung zu Pubertätszeiten hochgradig irritiert hat, dass unsere Eltern tatsächlich noch Sex miteinander haben könnten.

Das Sexualempfinden im Alter, inwieweit unterscheidet sich dieses Empfinden von den Sexualbedürfnissen von jungen Menschen? Das Triebhafte, so erfahren wir in dem Buch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter”, wird mehr und mehr losgelassen und es rücken Liebe, Lust und Freude an dessen Stelle. Aber auch Zärtlichkeit, Vertrautheit und Intimität gewinnen an Bedeutung. Und selbst bei körperlichen Darstellungen – ein weiteres Tabu – kann die Vertrautheit der Körper im Alter durchaus auch ein schönes Bild ergeben. Ein Beispiel dafür sind die Fotos der in Hamburg lebenden Fotografin Katrin Trautner (hier der Link dazu).

Bemerkenswert fand ich zudem den empirischen Befund, dass Frauen häufiger als Männer zwar auch im hohen Alter noch Lust auf Sex verspüren, jedoch dieses Bedürfnis nicht mehr befriedigen können, weil ältere Männer sich eher jüngere Frauen suchen, oder, im Falle einer langen Beziehung, bereits gestorben sind. Denn wie das Statistische Bundesamt im Jahre 2004 mitteilte, beträgt die Lebenserwartung bei Frauen derzeit 81,3 Jahre, bei Männern aber “nur” 75,6 Jahre. Das führt dann dazu, dass Frauen in langjährigen Beziehungen zwar noch das Bedürfnis nach Sex haben, dieses aber nicht mehr befriedigen können, weil der Ehepartner bereits gestorben ist. Andere Frauen entdecken dann bisweilen sogar ihre Bisexualität in dieser Lebensphase und leben ihr Bedürfnis nach Sexualität und Intimität mit anderen älteren Frauen aus. Auch interessant.

Einfluss von Sexualität auf die Pflege

Aus Gesprächen mit ausgebildeten Alternpflegern und Altenpflegerinnen geht hervor, dass das Thema Sexualität im Alter nur sehr kurz und häufig nicht ausführlicher behandelt wird. So wird in diesem Zusammenhang von Mandy Rünger in ihrem Artikel “Liebe bis in den späten Herbst – Partnerschaft, Liebe und Sexualität” auf das Buch “Soziale Arbeit mit alten Menschen: Grundwissen für Studium und Praxis” von Gisela Thiele verwiesen, die über die Voraussetzungen im Umgang mit Sexualität in Pflegeeinrichtungen schreibt, dass Akzeptanz und eine ganzheitliche Sichtweise von Sexualität nur möglich sind, “wenn sie auf Personal (Heimleitung, Pflegekräfte, Sozialarbeiter) treffen, das seine eigene Sexualität weitestgehend offen und angstfrei lebt” (Thiele 2001: 121).

Leider ist das wohl bis dato immer noch recht selten der Fall. Sexualität wird in vielen Altenheimen nicht nur eingeschränkt, sondern auch weitestgehend ausgeschlossen. Da Sexualität stark von Intimität und Privatsphäre abhängig ist, ist es schon als problematisch anzusehen, dass sich viele Menschen in Altenheimen ihre Zimmer mit Fremden teilen müssen. Und selbst wenn es Einzelzimmer gibt, wird die Privatsphäre vielfach überhaupt nicht beachtet. So betritt das Pflegepersonal häufig ohne anzuklopfen den Raum, die Bewohner haben meist keinen eigenen Briefkasten und die Zimmer sind nicht abschließbar. Dieses an sich sexualfeindliche Klima führe zudem sehr häufig dazu, dass sich nur sehr wenig Bewohner gegen die Ablehnung ihrer Sexualität zur Wehr setzen.

Noch schwieriger gestaltet sich die Situation bei “alten Schwulen und Lesben”. Hier gibt es bisweilen nur sehr wenige Angebote. Einige davon werden in diesem Buch auch genannt, etwa das Wohnprojekt “Gay and Gray”. Unter dem Motto “Gay and Gray” formieren sich selbstbewusste schwule Senioren, die gemeinsam Wohnprojekte entwickeln und über Sexualität im Alter diskutieren.

Sexualität bei Personen mit Demenz

Bei Demenz kann der Drang nach Sex gesteigert werden oder er wird völlig gehemmt. Auch Gehirnschädigungen des Frontallappens können eine sehr extreme und völlig enthemmte Sexualität bewirken. Dies kann soweit gehen, dass Menschen mit Demenz sich plötzlich enthüllen, öffentlich masturbieren oder gar sexuelle Übergriffe auf Pflegende und Angehörige tätigen. Es kommt jedoch darauf an, um welche Form von Demenz es sich handelt und um welches Stadium.

Sind Pflegende darüber nicht aufgeklärt und genügend vorbereitet, ist auf der anderen Seite nachvollziehbar, dass laut einzelner Forschungsergebnisse, sexuelles Verhalten von “kognitiv beeinträchtigten Personen” von den meisten Pflegenden eher als unnatürlich angesehen wird. Auf der anderen Seite gibt es auch Paare, wo der eine Partner den Sex mit seiner demenzkranken Frau gar als angenehmer, weil weniger gehemmt, empfindet. Dies kann beispielsweise bei Alzheimer in einer frühen Phase der Fall sein, was nichts an der Tatsache ändert, dass das Verhältnis von Sexualität und Demenz nach wie vor eher pathologisiert wird.

In dem Buch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter” wird dann auch auf einzelne wissenschaftliche Studien verwiesen, in denen unangemessenes Verhalten bei alten Menschen mit Demenz untersucht worden ist, etwa die Studie von Alagiakishnan et al. 2005. Bei dieser Studie wurden 41 Personen mit Demenz beobachtet, davon waren 39 Männer und drei Frauen. Eingeschlossen wurden Patienten mit vaskulärer Demenz, Alzheimer sowie leichten kognitiven Einschränkungen. Die Forscher wollten herausfinden, wie oft unangemessenes Verhalten auftritt, wie es sich äußert und wie man es eventuell behandeln kann. 1,8 % der beobachteten Personen zeigten unangemessene sexuelle Verhaltensweisen, 65,7 % verbaler Art, 87,8 % physischer Natur. 54 % davon wurden bei Personen mit vaskulärer Demenz beobachtet, 22 % der Alzheimerpatienten zeigten unangemessene Verhaltensweisen. Laut anderen bereits vorhandenen Studien kommt unangemessenes sexuelles Verhalten vor allem bei Patienten mit schwerer Demenz und tendenziös eher bei Männern vor.

Fazit

Pflegende sind nach wie vor – insbesondere in stationären Einrichtungen – nicht wirklich auf die sexuellen Bedürfnisse von älteren Menschen eingestellt – geschweige denn auf die sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was wir als Pflegende unternehmen können, wenn Menschen mit Demenz sich plötzlich enthüllen oder gar in der Öffentlichkeit masturbieren. Wenn wir selber eher gehemmter und weniger offen mit Sexualität umgehen, werden wir mit solchen “Vorfällen” tendenziös ein Problem haben. Hier tut Aufklärung not und Wissenschaft kann dazu beitragen, mehr aufzuklären. Vor diesem Hintergrund sei das Buch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter” mit einigen Einschränkungen empfohlen!

Das Buch “Lust auf Sex – Sexualität im Alter” von unter anderem Anja Hartmann, Nadja Berger und Birgitta Bernhardt ist 2013 im GRIN Verlag erschienen. Hier der Link zum Buch.

Weiterführende Quellen:

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: Patrick / www.flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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