Klassiker neu gelesen: Gefühle lesen

Der weltberühmte Psychologe Paul Ekman hat mit “Gefühle lesen” ein wunderbares Buch vorgelegt, das helfen möchte, Emotionen richtig zu erkennen und zu interpretieren. In der Pflege von Menschen mit Demenz können wir die Kommunikation maßgeblich verbessern, wenn wir wissen, wie wir Gefühle besser entschlüsseln können.

In seinem Buch “Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren” (2010), schildert der weltberühmte Psychologe und Pionier der Mimikforschung – Paul Ekman – ein bemerkenswerte Geschichte über das Entschlüsseln von Emotionen. Ekman arbeitete zu dieser Zeit (vor über 40 Jahren) als Psychologe in einem Krankenhaus und hatte mit einer Frau zu tun – Mary, so ihr Name –, die vor der Einweisung ins Krankenhaus drei beinahe erfolgreiche Suizidversuche begangen hatte. Auf ihren Zustand hin befragt, antwortete Mary, dass es ihr ausgesprochen gut ginge; sie sprach also in optimistischer Weise über ihren Zustand und schien fröhlich zu sein.

“Es gibt universale Emotionsthemen, die unsere evolutionäre Geschichte widerspiegeln, und zahlreiche kulturabhängig erlernte Variationen, die von unseren individuellen Erfahrungen zeugen.” Paul Ekman

Erst später machte Ekman zusammen mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin den entscheidenden Fund. Im Jahr zuvor hatte er damit begonnen, Gespräche mit psychiatrischen Patienten zu filmen: anfangs, als sie ins Krankenhaus eingewiesen worden waren, dann wieder, als das Krankenhauspersonal meinte, ihr Zustand habe sich gebessert, und zum letzten Mal eine Woche, bevor die Patienten entlassen wurden. Bei mehrmaliger Durchsicht des Filmmaterials stieß Ekman schließlich auf einen Widerspruch.

An einem Punkt im Gespräch fragte der Arzt Mary nach ihren Plänen für die Zukunft. In einem kleinen Augenblick der Pause, bevor sie die Frage beantwortete, sah man im Film, wie eine Miene mit starker Angst über ihr Gesicht blitzte, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ekman hatte etwas Bahnbrechendes entdeckt, was in der Emotionsforschung später als “Mikroausdrücke” bezeichnet worden ist. Wir haben es mit einer zunächst verdeckten Gefühlsregung zu tun, die sich hinter einem bestimmten Gesichtsausdruck verbirgt. Ein Mensch, der fröhlich wirkt, ist beispielsweise zutiefst traurig. Oder ein Mensch, der lügt. Wie können wir das erkennen?

Nicht immer sind Emotionen direkt in den Gesichtern von Menschen mit Demenz erkennbar. Dennoch können wir Emotionen auch über die Augen erkennen: An der Beteiligung der Ringmuskel des Auges können wir in diesem Beispiel auf Freude schließen.

Kommunikation mit Personen mit Demenz

Stellen Sie sich folgende Situation in der Pflege vor: Es wird empfohlen, möglichst freundlich und ruhig gegenüber dementen Personen aufzutreten. Nun haben Sie in letzter Zeit so viel Stress und da treten sie zuweilen übertrieben freundlich auf und versuchen zu verbergen, dass sie zum Teil auch hochgradig genervt sind. Wir haben es somit mit zwei unterschiedlichen Seiten in der Kommunikation zu tun.

Noch besser kann man das bei der Emotion Ekel veranschaulichen. Als die potensten universalen Auslöser für Ekel gelten Fäkalien, Erbrochenes, Urin, Auswurf und Blut. Mit Ekel haben wir häufiger in der Pflege zu tun und bei der Mitteilung dieser Emotion kann es ebenso zu eine Inkongruenz in der Kommunikation kommen: Auch wenn ich mich an sich ekel, tue ich so, als ob ich freundlich wäre.

“Ich entdeckte, wie viele Ausdrücke ein Gesicht annehmen kann – über 10.000! – und konnte diejenigen charakterisieren, die für den Ausdruck von Gefühlen am wichtigsten sind.” Paul Ekman

Umgekehrt gilt, dass der demente Mensch – je nach Demenzform und Ausprägung – ein besonderes Gespür für emotionale Regungen entwickeln kann, die nicht direkt erkennbar sind. Wenn wir also auf der verbalen Ebene freundlich auftreten, jedoch auf der emotionalen Ebene einmal wirklich schlechte Laune haben, gibt es eindeutig eine Diskrepanz: Das ist nicht kongruent! Und wenn dann noch der demenzkranke Mensch, den wir gerade pflegen, besonders empfänglich ist für emotionale Stimmungen, ist unser an sich gut gemeinter Auftritt ziemlich hinfällig geworden.

Zudem wissen wir von Menschen mit Demenz, dass die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation abnehmen kann, während durch verschiedene wissenschaftliche Studien nachgewiesen werden konnte, dass Demenzbetroffene durchaus Fähigkeiten besitzen, die für die emotionale Interaktion von Bedeutung sind: So sind Personen mit Demenz beispielsweise noch lange dazu in der Lage, das Verhalten ihrer Interaktionspartner wahrzunehmen und ihre Körperbewegungen und Gesten nachzumachen.

Kommunikation mit Menschen mit Demenz kann somit niemals nur auf einer Ebene betrachtet werden. Wir sprechen von mindestens zwei Personen, die an der Kommunikation beteiligt sind – etwa eine professionelle Pflegeperson und eine Person mit Demenz –, die ihre Gefühle auf verschiedenen Ebenen kommunizieren können. Speziell für das Lesen von Gesichtsausdrücken hat Ekman viele bemerkenswerte Beobachtungen gemacht, die mit dem Grundverständnis für die bessere Entschlüsselung von emotionalen Gesichtsausdrücken zusammenhängen und mit den feineren, subtileren Gefühlsbotschaften, die auf den ersten Blick nicht direkt erkennbar sind.

Die Basisemotionen und andere Gefühlsausdrücke

Bei Menschen mit Demenz kann das Repertoire an Gesichtsausdrücken aufgrund der Krankheit zunehmend beschränkter sein, dennoch gibt es auch hier bis zu einem bestimmten Stadium beobachtbare Unterschiede in den Gefühlsregungen. Dissonanzen ergeben sich da, wo beispielsweise beim Lächeln Mund und Auge nicht dieselbe Sprache sprechen. Das heißt, wenn Sie beim Lächeln einer Person mehr auf die Augen achten, können Sie auch besser erkennen, ob das Lächeln mit echter Freude verbunden ist oder nicht (siehe dazu auch das Bild mit dem älteren Herrn und seiner Tochter im oberen Teil dieses Beitrags).

Ekman lenkt unsere Aufmerksamkeit auf derartige Details in der Entschlüsselung von Emotionen. In seinem Buch behandelt er insgesamt fünf Basisemotionen und weitere Gefühlsausdrücke, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation von elemantarer Bedeutung sind.

Zu den Basisemotionen gehören folgende Gefühle:

  • Angst
  • Ekel
  • Freude
  • Trauer
  • Wut

Weitere Emotionen:

  • Ärger
  • Verachtung
  • Verzweiflung
  • Zorn

Am Ende seins Buches ist auch ein Test angefügt – “Gesichter lesen” –, der eine Reihe mit Fotos von Gesichtsausdrücken zeigt, die zu entschlüsseln sind. Sie können einen solchen Test auch online durchführen – hier ein Link.

Fazit

Wer Emotionen besser verstehen will, bekommt mit dem Buch “Gefühle lesen” von Paul Ekman ein herausragendes populärwissenschaftliches Werk geboten, in dem ein faszinierendes Panorama zum Teil bahnbrechender Erkenntnisse aus der Emotions- und Gesichterforschung entfaltet wird. Insbesondere für die Kommunikation mit Menschen mit Demenz können wir uns durch die gründlichere Lektüre dieses Werkes wichtiges Basiswissen – auch für die zum Teil versteckten Ausdrücke von Gefühlen – erarbeiten.

So lernen wir einerseits Gefühle besser kennen, mit denen wir häufiger in der Pflege von Menschen mit Demenz in Kontakt treten – etwa Freude, Angst, Ekel und Trauer. Auf der anderen Seite können wir auch ein besseres Verständnis für Ambivalenzen in der emotionalen Kommunikation gewinnen: Was wie Freude wirkt, kann auch Trauer sein und so weiter. Ich kann das Buch für das Studium der menschlichen Natur nur wärmstens empfehlen!

Das Buch “Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren” von dem Psychologen Paul Ekman wurde erstmalig im Jahr 2003 auf Englisch veröffentlicht und zuletzt auf Deutsch 2010 im Springer-Verlag publiziert. Hier der Link zum Buch.

Quellenangaben zu den Fotos:

Foto: Neil Moralee / www.flickr.com

Foto: vrot1 / www.flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

Kommentar verfassen