Das Demenzei des Monats: Ihre Stimmen zum Thema Angst

Angst ist ein wirklich wichtiges Thema im Umgang mit Menschen mit Demenz. Betroffene haben Angst davor, ihre Würde und Selbstständigkeit zu verlieren. Pflegende haben Angst davor, einmal selber dement zu werden. Daher wollten wir in unserem Demenzei von Ihnen wissen, wie Ihre Erfahrungen mit Angst aussehen.

In dem Video-Diskussionsformat “Das Demenzei des Monats” werden zumeist brisantere und komplexere Themen aus der Welt der Demenzforschung vorgestellt. Bis dato gab es fünf Demenzeier zu solchen Themen wie Frühdiagnostik bei Alzheimer oder auch Wahn, Halluzinationen und Lügen. In dem letzten Demenzei haben wir uns mit Angst beschäftigt.

Bei einer Literaturauswertung zu diesem Thema bin ich auf verschiedene Ängste gestoßen, die für den Umgang mit Menschen mit Demenz von zentraler Bedeutung sind. Zu nennen wäre hier beispielsweise die Angst vor dem Fremden. Viele Menschen, die pflegen, umtreibt die “Demenzsorge”. Dabei ist diese Sorge, die mit der Angst verbunden ist, einmal selber dement zu werden, unterschiedlich stark ausgeprägt. Die einen Menschen haben so gut wie keine entsprechenden Sorgen, während diese Sorge bei anderen Menschen schon fast hypochondrische Züge einnimmt.

Grundlegend ist für mich allerdings zunächst die Frage, welche Ängste bei den Betroffenen anzutreffen sind. Besonders charakteristisch sind in diesem Zusammenhang spezifische Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz, die mit Angst besetzt sind. Beispiele für solche auffälligen Verhaltensweisen, die durch Angst ausgelöst werden, können beispielsweise Aggressionen sein. Die dementen Menschen fühlen sich in ihrem eigenen Umfeld zunehmend unwohler und reagieren gereizt und aggressiv.

Die Angst kann hier mit dem drohenden Kontrollverlust in einzelnen Bereichen des Alltags verknüpft sein, die vorher noch ganz problemlos und selbstständig ausgeführt werden konnten. Dazu können solche Praktiken wie Kochen, Waschen und Bügeln gehören, deren Funktionieren bis zu dem Ausbruch einer solchen Demenzform wie Alzheimer zumeist nicht hinterfragt wird, da wir derartige Praktiken im Alltag als ganz selbstverständlich wahrnehmen.

Das Demenzei zum Thema Angst

In unserem Demenzei hatten wir Ihnen vorab zwei Fragen gestellt:

  1. Spielt Angst bei Menschen mit Demenz eine große Rolle?
  2. Wie kann man Menschen mit Demenz in der Bewältigung ihrer Angst in der Pflegepraxis unterstützen?

Ihre Antworten zur ersten Frage

In ihren Antworten zu unserer ersten Frage kommen Sie unter anderem auch auf den Aspekt der Fremdheit zu sprechen. So lautete etwa eine Bemerkung von Ihnen: “In verschiedenen Situationen habe ich den Eindruck, dass sich die Angst vor der Fremdheit z. B. auch zunehmend in der eigenen Wohnung bemerkbar macht.”

Dass Menschen mit Demenz mit fortschreitender Krankheit gar ihre an sich vertrauteste Umgebung als fremd empfinden, ist ein Phänomen, das vielfach ebenso in Film und Literatur beschrieben wird. Arno Geiger schildert beispielsweise auf der Basis von persönlichen Erfahrungen in “Der alte König in seinem Exil” die an sich befremdliche Situation, wie der Vater im späteren Stadium von Alzheimer die eigenen vier Wände nicht mehr richtig erkennt. Auch in dem Dokumentarfilm “Vergiss mein nicht” von David Sieveking taucht dieses Phänomen auf. In seinem Dokumentarfilm begleitet Sieveking seine alzheimerkranke Mutter auf ihrer Reise in die Demenz. Und auch hier wird die an sich vertraute nächste Umgebung zunehmend als fremd wahrgenommen.

Dieses Phänomen ist vor allem für das spätere Stadium einer Alzheimer-Demenz charakteristisch. Da sich Menschen aber noch relativ gut an sehr früh zurückliegende Ereignisse aus ihrem Leben erinnern können, kann es unter Umständen hilfreich sein, die Umgebung bewusst mit solchen Gegenständen und Erinnerungsstücken zu versehen, die noch im Langzeitgedächtnis präsent sind.

Angst ist bei Demenz grundlegend, wie Sie uns auch geschrieben haben. “Angst spielt eine große Rolle innerhalb des Krankheitsbildes der Demenz. Wenn im Vorfeld Anzeichen einer Demenz wahrgenommen werden, stellt sich bereits die Angst ein. Wenn dann noch eine bestätigende Diagnose gestellt wird, wird das Gefühl der Angst zum täglichen Begleiter. Sie greift massiv in das Leben der Menschen. Sie ist aus meiner Erfahrung oft Auslöser für Streitigkeiten, Wut, Depression und vielen Mißverständnissen.”

Gleichfalls schreiben Sie auf der anderen Seite, dass die Angst bei Demenz mit der Zeit ihr schreckliches Gesicht verliert. Das ist für mich persönlich ein ganz wichtiger Aspekt. Denn wir vergessen bei Demenz bei aller Tragik viel zu häufig, dass das Leben mit einer solchen chronischen Krankheit nicht durch und durch schrecklich ausfallen muss. So wissen wir beispielsweise aus der Neurobiologie, dass insbesondere basale positive Emotionen wie Freude noch sehr lange erlebt werden können, etwa wenn Menschen mit Demenz gemeinsam singen und tanzen :-)

Ihre Antworten zur zweiten Frage

In Ihren Antworten zu unserer zweiten Frage wollten wir von Ihnen erfahren, welche Strategien aus der Versorgungspraxis dazu tauglich sein könnten, die Angst der Betroffenen in der Begleitung und Unterstützung ein Stück weit zu mildern. “Mögliche Interverventionen: Blickkontakt, ruhige Stimme, auf Augenhöhe kommunizieren. Vorsichtig die eigene Hand mit gewisser Distanz flach locker auf ein Schulterblatt legen.”

Sehr wichtig fand ich zudem den Hinweis, wie der Umgang mit der Angst zuvor ausgesehen hat. Wie wurde in der eigenen Familie über Angst gesprochen? Wie sind Mutter und Vater mit grundsätzlichen Ängsten umgegangen? Inwieweit hat man sich persönlich vor dem Ausbruch der Krankheit mit den eigenen Ängsten konfrontiert?

Mir fallen dazu Hunderte von Filmen und Romanen ein, in denen Familiendramen auf der Basis von verdrängten Ängsten erzählt werden. Daran sieht man unter anderem, wie grundlegend und existentiell dieses Thema an sich ist. Nur ein Beispiel: der Film “Das Fest” aus der Dogma-Reihe. Der Hotelier Helge Klingenfeldt-Hansen feiert seinen 60. Geburtstag auf dem Familiensitz. Zu diesem Anlass trifft die ganze Familie ein, woraufhin im Laufe der Handlung eine echte Tragödie aufgerollt wird. Der Vater hatte seine nunmehr erwachsenen Kinder missbraucht. Nur keiner hatte bis zu seinem 60. Geburtstag über diese grausame Familientragödie gesprochen. Tief sitzende kollektive Angst und pure Verdrängung …

Auch wenn unser Alltag zumeist nicht wie im Film von derartigen grausamen Tragödien heimgesucht wird – Gott sei dank! –, so ist es an sich dennoch überhaupt keine Selbstverständlichkeit, offen über die eigenen persönlichen Ängste zu sprechen. Denn wie häufig überspielen wir unsere Ängste im Alltag, wie häufig geben wir beispielsweise vor, innerlich stark und souverän zu sein, obwohl das überhaupt nicht den Tatsachen entspricht? Wer wirklich angstfrei über seine persönlichen Ängste spricht, ist wirklich mutig, wie ich finde!

So gesehen kann einer Ihrer Hinweise in diesem Zusammenhang  gar nicht für wichtig genug erachtet werden, wenn es darum geht, der Angst im Umgang mit Menschen mit Demenz ins Auge zu sehen: “Ich glaube, dass es abhängig davon ist, wie vorher im Leben persönlich mit Unsicherheitserlebnissen, Ängsten umgegangen worden ist und wie stark Angst (in verschiedenen Graden bis hin zur Bedrängnis) erlebt wurde. Außerdem meine ich beobachtet zu haben, dass es abhängig davon ist, ob grundsätzlich Vertrauen ins Leben, in Beziehungen, in sich selbst erfahren wurde.”

Quellenangabe zum Titelfoto:

Foto: Morgennebel / www.flickr.com

Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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