Jochen Isensee ist ein Arzt, der schon während seines Medizin-Studiums die Leidenschaft für das Erzählen von Geschichten entdeckte. Zusammen mit seinen Brüdern hat er aktuell einen ungewöhnlichen Kurzfilm zum Thema Alzheimer realisiert. Als inzwischen approbierter Arzt ist er zugleich verantwortlich für die Bereiche Konzeption und Regie in einer Agentur, die er selbst gegründet hat. Wir sprachen mit Ihm über seine Leidenschaft und den Kurzfilm “Vergessen”.
Die Geschichte von Jochen Isensee ist so ungewöhnlich wie der Kurzfilm “Vergessen”, den er jüngst zusammen mit einigen anderen Mitstreitern realisiert hat – u. a. Holger Isensee (editor, sfx) und Steffen Isensee (Kamera), wie man im Abspann des Kurzfilms “Vergessen” erfährt. Der Kurzfilm wurde bereits auf der Video-Plattform Vimeo veröffentlicht (→hier der Link dazu) und in den letzten Monaten bei zahlreichen Wettbewerben als Beitrag eingereicht (etwa “Official Selection International Short Film Festival Detmold”).
Im Film wird die Geschichte eines älteren Mannes erzählt, der eines Tages einsam erwacht und sich in fremder Umgebung wiederfindet. Das Ungewöhnliche daran: Er ist schwarz, kommt aus einer anderen Kultur, und wacht in einer fremden auf. Ebenso ungewöhnlich ist auch die Geschichte von Jochen Isensee. Isensee hat schon während seines Studiums der Medizin die Leidenschaft für das Erzählen von Geschichten entdeckt. Diese Leidenschaft brachte ihn auch auf die Idee, eine Agentur für Bewegtbild in Freiburg zu gründen: eazy entertainment – angesiedelt in den Bereichen Gesundheit und Medizin.
Im Interview sprach ich mit ihm über seine Leidenschaft, Geschichten zu erzählen und diese als Filme umzusetzen (Kurzfilm – Werbefilm – Imagefilm), sowie über den Kurzfilm “Vergessen”. Dabei interessierte mich vor allem, welche Möglichkeiten der Film für die Vermittlung von Wissen eröffnet, die so in anderen Medien nicht gegeben sind. Denn “Film”, so Isensee im Interview, “spricht zugleich mehrere Ebenen an und wirkt auch unterbewusst auf emotionaler Ebene”. Das kann gerade bei dem Thema Demenz und dessen Vermittlung von Vorteil sein, damit sich Inhalte beispielsweise besser im Gedächtnis verankern oder mehr Aufmerksamkeit erzielt werden kann.
Herr Isensee, wie kommt man auf die Idee, als Arzt Filmideen auszutüfteln und Drehbücher für Filme zu verfassen? Warum arbeiten Sie nicht ausschließlich als Mediziner?
Meine Liebe zum Film entstand aus der Leidenschaft, Geschichten zu erzählen. Ich war nach dem Studium zunächst 2,5 Jahre in Vollzeit in der Anästhesie tätig (Intensiv- und Notfallmedizin) und konnte in dieser Zeit sehr viel lernen. Damals wurden Filmprojekte vor allem im Urlaub und an Wochenenden realisiert. Wie gesagt ist es meine Leidenschaft, Geschichten zu erzählen – seien es meine eigenen oder die unserer Kunden. Ich denke, dass der Film so viele Sinne und Emotionen anspricht und damit das perfekte und modernste Medium darstellt, eine Story zu verbreiten. Dabei ist ebenso die Medizin reizvoll. Momentan können beide Berufe (noch) nebeneinander existieren. Das wird eines Tages bestimmt anders werden (…)
Wie haben Sie Ihr filmisches Handwerk neben dem Medizinstudium erlernt? Wie würden Sie diesen Prozess beschreiben? Sind Sie eher ein Autodiakt oder professionell ausgebildet?
Ich bin der Meinung, dass das technische Filmemachen reines Handwerk ist, das man auch auf Filmhochschulen erlernen kann, jedoch nicht muss. Vieles wird im Umgang mit dem Medium erlernt, wenn man den Blick gezielt darauf richtet. Generell ist das Medium Film stets im Wandel begriffen. Wenn beispielsweise jemand in den 1980iger Jahren noch Filme gemacht hat, musste er den Umgang mit der Technik in den letzten 30 Jahren mehrfach neu lernen. Mir selbst liegt ja mehr der kreative, schöpferische Teil des Filmemachens und dabei denke ich sehr viel in Bildern. Ich sehe es sogar als Vorteil, dass ich keine Filmhochschule besucht habe. So kann ich erstmal frei von allen Konventionen meiner Kreativität freien Lauf lassen. Erst wenn es dann an die Umsetzung geht, müssen die Kameraleute mich bremsen, weil einiges davon dann möglicherweise sehr schwer umzusetzen ist oder nur zu einem sehr großen Budget. So gesehen bin ich Autodidakt. Allerdings lerne ich stets dazu, gerade durch den ständigen Kontakt in die Filmwelt.
Schon während des Medizinstudiums gründeten Sie die Medienagentur eazy entertainment, die sich auf die Konzeption und Umsetzung von Filmproduktionen spezialisiert hat − etwa Werbefilme bis hin zu Spielfilmprojekten, die in den Bereichen Medizin und Gesundheit angesiedelt sind. Wie kam es zu der Gründung von eazy entertainment?
Für meist internen Gebrauch bei Unternehmen und Organisationen hatten wir schon einige Filme realisiert. Als man begann uns dafür Geld anzubieten, ergab sich die Gründung der Agentur. Wichtig war uns im weiteren Verlauf, dass wir nicht nur Zuarbeiter für andere Agenturen sind, sondern dass gerade die Konzepte und der kreative Prozess von uns kommt. So gesehen, kommt ein Film aus einem Guss und wir betreuen unsere Filme von der Idee über den Dreh und die Postproduktion bis möglicherweise zur Beratung beim Videomarketing. Es ist aber utopisch, dass wir all dies mit unserem kleinen Team umsetzen können. Bei Dreharbeiten greifen wir dann auf ein Team zurück, meist langjährige Partner unseres Vertrauens. Außerdem werden ja meist Schauspieler, Visagisten, Kameraleute etc. und für die Postproduktion oft Sprecher und Musiker benötigt.
Welche Rolle spielen dabei Ihre Brüder?
Mein Bruder Holger hatte schon in der Schule angefangen, mit Kameras zu hantieren. Damals ergab es sich, dass wir sein technisches Know-how nutzten und ich meine Kreativität und für Veranstaltungen kleinere Kurzfilme realisierten. Nach der Gründung von eazy entertainment stieß mein Bruder Steffen, Diplom Volkswirt, dazu. Er zeigt sich inzwischen hauptverantwortlich für den Unternehmenserfolg und verknüpft Kreativität mit Wirtschaftlichkeit, verkauft also unsere Ideen. Wir haben das Glück, dass unsere Stärken jeweils in anderen Bereichen liegen und so zu einer erfolgreichen Umsetzung beitragen. Nicht zuletzt spielt unser blindes Verständnis und eine gemeinsame Zielsetzung auch eine große Rolle. Letztendlich profitiert der Kunde von einer zeitnahen und kostengünstigen Realisation.
Film ermöglicht einen emotionalen Zugang zum Thema Demenz
Für das Dialog- und Transferzentrum Demenz ist vor allem der Wissenstransfer eine wesentliche Frage. Dabei kann man den Zugang zu Wissen auch mit Emotionen verbinden. In Ihrem Kurzfilm “Vergessen”, in dem ein alter Mann einsam erwacht und sich in einer für ihn fremden Umgebung wiederfindet, spielen Emotionen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie würden sie das beschreiben?
Ich sehe es genauso, dass Wissenstransfer durch einen solchen Film effektiver gelingen kann. Das kann an den Emotionen liegen, die der Zuschauer mit dem Hauptdarsteller durchlebt. Je besser sich der Zuschauer mit der Hauptperson identifziert, desto besser gelint dies auch.
Das Thema Demenz spielt meiner Meinung nach in Zeiten des demographischen Wandels eine immer wichtiger werdende Rolle und wird nach wie vor tabuisiert. Unser Film kann sicherlich nicht alle Aspekte der Demenz berücksichtigen, jedoch war es mir wichtig, ein Verständnis für Demenzkranke zu wecken und ein Statement für Betreuungseinrichtungen abzugeben. – Jochen Isensee
Was kann Film als Medium, was andere Medien so nicht können? Wie lässt sich der Vorteil des Films in emotionaler Hinsicht für so ein Thema wie Demenz nutzen?
Der Film als Medium kann viel einfacher konsumiert werden im Gegensatz zum “aktiven” Lesen beispielsweise. Wie erwähnt, spricht ein Film mehrere Sinne an und wirkt auch unterbewusst auf emotionaler Ebene. Außerdem denke ich, dass man zusätzlich weitere Zielgruppen erreichen kann und damit die Aufmerksamkeit einer größeren Masse bekommt.
Wie kam es zu der Idee, einen Kurzfilm zum Thema Demenz umzusetzen? Inwieweit haben Sie sich im Vorfeld mit diesem Thema ausgiebiger beschäftigt?
Das Thema Demenz spielt meiner Meinung nach in Zeiten des demographischen Wandels eine immer wichtiger werdende Rolle und wird nach wie vor tabuisiert. Unser Film kann sicherlich nicht alle Aspekte der Demenz berücksichtigen, jedoch war es mir wichtig, ein Verständnis für Demenzkranke zu wecken und ein Statement für Betreuungseinrichtungen abzugeben. Aber auch ein Augenmerk darauf zu lenken, wie wichtig medizinische Forschung in dieser Hinsicht ist. Durch meinen Arztberuf habe ich fast täglich mit Demenzkranken zu tun und kenne das Krankheitsbild aus erster Hand. Dennoch war noch einiges an redaktioneller Arbeit notwendig, um ein realistisches Bild der Erkrankung zu zeichnen.
Wie würden Sie den Umsetzungsprozess beschreiben: Von der ersten Idee bis zur fertigen Produktion? Welche Rolle spielte etwa das Drehbuch und die Story im Vorfeld? Wie aufwendig war die Produktion bis zum finalen Schnitt?
Die Idee bestand darin, eine eigene Spielfilmproduktion zu starten und einen seriösen Film zu realisieren, der auch Beachtung im künstlerischen Bereich findet, was uns letztendlich mit einigen Festivalteilnahmen auch gelungen ist. Ein Budget für die Realisierung war nicht vorhanden, weshalb wir mit umso mehr Enthusiasmus und einigen Helfern starteten. Das Drehbuch entwarf ich innerhalb weniger Tage und es gelang uns, mit Jesse Coston einen etablierten Darsteller für die Rolle zu gewinnen. Die Produktion war dahingehend aufwändig, dass die gesamten Räumlichkeiten von uns im Vorfeld eingerichtet werden mussten. Wir bekamen schließlich unsere Location frisch renoviert zur Verfügung gestellt und liehen uns die gesamte Inneneinrichtung aus der Umgebung.
Dabei lag die Schwierigkeit darin, dass die Wohnung aussehen musste, als sei sie schon seit Jahrzehnten bewohnt. Also statteten wir die Wohnung mit viel Liebe zum Detail aus, etwa mit angebissenen Äpfeln, alten Zeitungen, gebrauchtem Mobiliar usw. Gedreht wurde an einem Drehtag bzw. -nacht. Da die Morgensonne eine entscheidend Rolle spielt, wir uns aber nicht auf Sonnenschein verlassen wollten, beleuchteten wir die komplette Szenerie mit künstlichem Licht von außen. Der Dreh begann also erst am Abend und wurde in den frühen Morgenstunden beendet, um keine Eventualität dem Zufall zu überlassen. Sehr spannend war für mich persönlich die Arbeit mit einem so erfahrenen Darsteller, der auch selbst einen Namen als Theaterregisseur hat.
Welche Rolle spielen dabei die Auswahl der Bilder, der Schnitt und die Musik?
Die Kamera führte mein Bruder Steffen und wir hatten uns im Vorfeld auf eine ruhige Erzählweise geeinigt. Beim Schnitt und Colorgrading (bedeutet Farbkorrektur; Anm. der Redaktion) wurde ebenfalls darauf geachtet, der Erzählweise Rechnung zu tragen und dem Charakter genug Raum zur Entfaltung zu geben. Die Musik wurde von Peter Laupenmühlen eigens für diesen Film komponiert und spielt eine entscheidende Rolle bei der Wirkung auf unsere Emotionen.
Zuletzt ein paar persönliche Eindrücke zu Ihrem Kurzfilm und eine Frage dazu: Zu Beginn sieht man einen älteren schwarzen Mann in einer Wohnung aufstehen, die nicht unbedingt als seine eigene identifiziert werden muss. Fremdheit ist hier ein Thema. Auf der anderen Seite geht es auch um das Thema Vergessen. Wie bringen Sie diese beiden Themen zusammen? Warum besitzt die Hauptfigur einen anderen kulturellen Hintergrund?
Ich denke, dass für Demenzkranke das Thema Fremdheit ständig eine Rolle spielt. Aufzuwachen und nicht zu wissen, wo man ist, die unmittelbare Umgebung täglich neu zu entdecken, Menschen nicht mehr zu erkennen, scheint von außerhalb betrachtet eine schreckliche Vorstellung zu sein. Und die oft mit der Krankheit einhergehende Depression ist nachvollziehbar und wird im Film ebenfalls kurz angedeutet. Fremdheit ist so gesehen auch eine Folge des Vergessens. Außerdem unterscheidet die Krankheit auch nicht zwischen arm und reich und kulturellen Grenzen. Daher: Zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann es jeden von uns treffen oder jemanden in unserem direkten persönlichen Umfeld. Eine solche Krankheit bedarf mehr Aufmerksamkeit und darf kein Tabu mehr sein.
Herr Isensee, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Marcus Klug.
Weiterführende Links:
- Link zum Kurzfilm “Vergessen”: https://vimeo.com/85242575
- Siehe außerdem zum Thema Storytelling: 7 Regeln für das erfolgreiches Storytelling
Quellenangabe zu den Titelfotos:
Dreh zum Kurzfilm “Vergessen” / Fotos mit freundlicher Genehmigung zur Nutzung von Jochen Isensee erhalten
Jochen Isensee entdeckte schon während seines Studiums seine Leidenschaft, Geschichten zu erzählen und in der Form von Filmen umzusetzen. Aus dieser Leidenschaft heraus gründete er auch eazy entertainment: Agentur für Bewegtbild. Die Filmidee über eine Geschichte zu entwickeln und diese in bewegten Bildern zu emotionalisieren, begeistert ebenso seine Kunden. Als inzwischen approbierter Arzt hat er sich vorwiegend auf Kunden aus den Bereichen Medizin und Gesundheit spezialisiert. Die Schnittstelle zwischen beiden Berufen stellt auch ein Alleinstellungsmerkmal von eazy entertainment dar. Kontakt: jochen.isensee@eazy-entertainment.com.
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.