Auf dem 5. Newsletter-Day des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD), der am 8. November 2017 an der Universität Witten/Herdecke stattfindet, wird der Pflegewissenschaftler Ansgar Schürenberg einen Vortrag mit dem Titel “Vertrauen erwecken – Basale Stimulation in der Pflege dementierender Menschen” halten. Im Vorfeld hat Marcus Klug ein kurzes Interview mit ihm geführt.
Ansgar Schürenberg ist Experte für “Basale Stimulation® in der Pflege von alten Menschen mit und ohne Demenz”. Er ist zugleich auch einer der Referenten auf dem 5. Newsletter-Day des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD), der am 8. November 2017 an der Universität Witten/Herdecke stattfinden wird. Bei dieser Veranstaltung gibt es in jedem Jahr einen Themenschwerpunkt. Diesmal lautet das Thema “Angst und Demenz”.
Marcus Klug hat mit Ansgar Schürenberg vorab ein kurzes Interview geführt. Dabei geht es vor allem um die Frage, welchen Beitrag das Konzept der Basalen Stimulation® zur Reduktion von Angst in der Pflege von Menschen mit Demenz leisten kann.
Herr Schürenberg, Sie halten am 8. November 2017 auf der Tagung “Angst und Demenz” des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke einen Vortrag mit dem Titel “Basale Stimulation® in der Pflege dementierender Menschen”. Können Sie einmal kurz zusammenfassen, was die Schwerpunkte Ihres Vortrags sein werden?
Dass es keine einheitliche, wahre Wirklichkeit gibt, sondern Wirklichkeit immer persönlich geprägt ist, wird bei demenzerkrankten Menschen besonders deutlich. Durch sogenanntes “herausforderndes Verhalten” dementieren diese Personen bisweilen unsere Wirklichkeit und stellen sie in Abrede, indem sie sich beispielsweise frei von jeglichen Konventionen verhalten.
Ängste sind immer sehr persönlich, sind verknüpft mit der Sensobiografie, den gemachten Erfahrungen und erlebten Gefühlen. Die Kinder- und Jungendzeit spielen hier eine entscheidende Rolle.
Durch eine Demenzerkrankung ist der Zugriff auf mühsam erarbeitete Verdrängungsstrategien oder “vernünftige” Umgangsformen mit den Ängsten erschwert oder gar unmöglich geworden. Dies wird dann besonders oft deutlich nach kindlichen Missbrauchserfahrungen. Eine Situation und manchmal nur einzelne Wahrnehmungen, die mit der damaligen Erfahrung vergleichbar erscheinen, lassen die Ängste wieder aufleben.
Stellen Sie sich beispielsweise eine Nachtwache vor, die während der Nacht bei einem Bewohner im Pflegeheim prüft, ob die Inkontinenzeinlage im Intimbereich noch richtig angebracht ist. Womöglich liegt die Bewohnerin dabei noch auf der Seite und hat ihren Rücken der Pflegenden zugewandt. Das kann zu Zweideutigkeiten führen, wenn die zu pflegende Person nicht vorher darauf eingestellt ist.
“Ein Gefühl kognitiv zu bearbeiten, es zu verstehen und letztlich wegzudenken wird einer Person, die an einer ausgeprägte Demenz erkrankt ist, schwer möglich sein. Einem Gefühl, wie Angst kann man meines Erachtens nur ein positives, weiteres Gefühl entgegenstellen, sodass dieses die Angst überlagert.” (Ansgar Schürenberg)
Mit Basaler Stimulation® in der Pflege versuchen wir zwangsläufig solche zweideutigen Wahrnehmungen, wie im Beispiel, zu vermeiden. Basales Berühren würde in dem Fall vorzeitig für Eindeutigkeit sorgen. Insgesamt geht es darum, Vertrauen aufzubauen und immer wieder neu in den einzelnen Situationen bei demenzerkrankten Menschen zu erwecken. Dies erfolgt über die elementaren (basale) Wahrnehmungsbereiche im Zusammenhang mit einer positiven, wertschätzenden Sozialerfahrung.
Wenn ich an meinen Verstand verzweifle, zählt nur das, was ich “am eigenen Leib erfahre“” Insofern ist der Somatische Dialog, zu dem Basale Stimulation® einen Beitrag leisten kann, besonders für Personen, die an einer fortgeschrittenen und schweren Demenz leiden, sehr geeignet. Denn Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit werden bei den fortgeschrittenen Demenzen nahezu ausschließlich in den alltäglichen Pflegehandlungen (Aufstehen, Körperpflege, Ankleiden, Essen und Trinken etc.) erlebt.
Durch vertraute Abläufe, die ich offensichtlich als selbstverständlich erlebe und bei denen ich von einer Vertrauenserweckenden, mich wertschätzenden Person Unterstützung und Beistand erfahre, kommen bestimmte Ängste gar nicht erst auf, oder werden sofort aufgefangen. Das ist der Vorteil in der Anwendung von Basaler Stimulation®.
Es gibt ja verschiedene Konzepte zur besseren Bewältigung von Angst in der Pflege von Menschen mit Demenz. Wie betrachten Sie das aus der Sicht der Betroffenen? Warum ist gerade die Basale Stimulation besonders dazu geeignet, Angst besser zu bewältigen?
Mir scheint, dass demenzerkrankte Menschen von Gefühlen wie Angst oft überwältigt werden, selber aber selten bis gar nicht in der Lage sind, Angst in einer Situation selber zu bewältigen. Ein Gefühl kognitiv zu bearbeiten, es zu verstehen und letztlich wegzudenken wird einer Person, die an einer ausgeprägte Demenz erkrankt ist, schwer möglich sein. Einem Gefühl, wie Angst kann man meines Erachtens nur ein positives, weiteres Gefühl entgegenstellen, sodass dieses die Angst überlagert. Oder ich versuche das Gefühl gar nicht erst aufkommen zu lassen, indem ich die mir bekannten Auslöser vermeide.
Vertrautheit ist so ein Gefühl. Vertrautheit, der mich umgebenden Objekte, aber auch Vertrautheit der mich umgebenden Personen. Mit Hilfe der erweiterten Sensobiografie werden solche positiv besetzten Gewohnheiten, Strategien und Erlebnisse erfasst.
Ergänzt durch das aktuelle Lebensthema der Person kann ich mir ein relativ gutes Bild von der (Erlebnis-)Welt des Betroffenen machen, welches mir hilft, Angstauslöser zu vermeiden oder schnell zu identifizieren.
Es geht also vor allem um den Aufbau von Vertrauen, um Angst zu reduzieren, oder?
Ängste kommen in der Gegenwart einer vertrauenserweckenden Person weniger auf. Durch vertrauensbildende Massnahmen wie dem Basalen Berühren und dem Vermitteln von Somatischer Sicherheit biete ich den betroffenen Personen eine schützende und stärkende Begleitung an.
Herr Schürenberg, vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Information zur Fachtagung “Angst und Demenz”, die am 8. November 2017 an der Universität Witten/Herdecke stattfindet, finden Sie hier: http://dzd.blog.uni-wh.de/angst-und-demenz-der-naechste-newsletterday-des-dzd/#more-13575
Quellenangabe zum Titelfoto:
Foto: Neil Moralee / www.flickr.com
Ansgar Schürenberg ist Krankenpfleger und Pflegewissenschaftler und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Basaler Stimulation®. Dazu hat er auch publiziert, unter anderem ein Buch mit dem Titel “Basale Stimulation in der Altenpflege”, zusammen mit Thomas Buchholz (Huber Verlag). Kontakt: a.schuerenberg@t-online.de.
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.
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