Das Thema Männer und Demenz scheint professionell Pflegende rege zu interessieren. Unsere Vermutung: Die Bedürfnisse und Wünsche von Männern und Frauen sind immer weniger klar identifizierbar, je jünger die zu pflegende Generation ausfällt. In unserem abschließenden Beitrag zum Thema haben wir Ihnen zwei Fragen gestellt: Welche speziellen Angebote sollte es für Männer mit Demenz geben? Und wie können Männer sinnvoll beschäftigt werden?
Erst neulich haben wir auf unserem YouTube-Kanal ein Video-Interview mit dem Kulturwissenschaftler und Musiker Klaus Theweleit verlinkt. In diesem Interview wird Theweleit unter anderem gefragt, wie er Männer und deren Bedürfnisse im Wandel der Zeit betrachtet – ausgehend von Männern, die noch im Krieg gedient haben und deren Söhne, bis hin zu dem modernen Mann.
Für Theweleit besteht die Krise des heutigen Mannes darin, dass er seine Aggressionen nicht mehr so wie früher ausleben kann, auch wenn das, so seine persönliche Meinung, eher für “unterentwickelte” Männer gilt, während für “intelligentere” Männer von heute auf der anderen Seite unglaublich viele Möglichkeiten bestehen, sich in verschiedene Richtungen zu entwickeln. Männer können heute also auf der einen Seite ihre Aggressionen nicht mehr so ohne Weiteres ausleben, beispielsweise als Soldaten, auf der anderen Seite jedoch Dinge tun, die so zu anderen Zeiten hierzulande völlig undenkbar gewesen wären: Denken Sie etwa an männliche Führungskräfte in Teilzeit oder an Männer, die anstelle ihrer Frau auf die Kinder aufpassen. Es gibt aktuell unglaublich viele Möglichkeiten, sein Leben als Mann oder Frau individuell zu gestalten; auch ohne Kinder und klassische Rollenaufteilung, was selbstverständlich auch zu argen Problemen mit der “Identitätskonstruktion” führen kann.
Wenn Bedürfnisse nicht mehr so einfach erkennbar sind
Für professionell Pflegende bedeutet das auf die Zukunft bezogen, die Bedürfnisse von Männern genauer zu hinterfragen, denn “so einfach” wie das Erkennen von manchen Bedürfnissen derzeit noch bei über 80-jährigen Männern in den Heimen auch erscheinen mag, so relativ schwieriger wird sich diese Aufgabe erst erweisen, wenn in der Zukunft erst einmal die modernen Männer von heute vereinzelt zu Pflegefällen werden. Oder kennen Sie aktuell noch junge Männer in Großstädten, welche beispielsweise die Küche meiden? Ich kenne zahlreiche Männer, die in ihrer Bedürfnisstruktur und in ihrem Denken sehr widersprüchlich und komplex sind; vor allem jüngere Männer.
Auf der anderen Seite wissen wir aus der Forschung, dass Männer rein biologisch betrachtet viel häufiger aggressive Verhaltensweisen an den Tag legen als Frauen, was mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron zusammenhängt, wie durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt werden konnte. Wie können Männer Aggressionen produktiver verarbeiten, ohne diese einfach auszuklammern und zu kompensieren? Und wie soll das möglich sein, wenn nach wie vor viel mehr Frauen in der professionellen Pflege arbeiten als Männer? Denn mit der Demenz können die Aggressionen von Männern noch weiter verstärkt werden, wenn diese sich beispielsweise zunehmend mehr von professionell Pflegenden als isoliert wahrgenommen fühlen.
Das Demenzei zum Thema Männer
In unserem Demenzei hatten wir Ihnen vorab zwei Fragen gestellt:
- Sollte es spezielle Angebote für Männer in der stationären oder ambulanten Pflege geben? Und wenn ja, warum?
- Was unternehmen Sie in der Pflegepraxis, um Männer sinnvoll zu beschäftigen?
Ihre Antworten zur ersten Frage
Sie haben uns geschrieben, dass es sehr wohl spezielle Angebote für Männer geben sollte, etwa “eine Skatrunde nur für Männer”. Damals wie heute gilt außerdem, dass Männer sich stärker mit ihrem Beruf identifizieren. “Mein Mann ist mit seinem Beruf verheiratet”, ist also duchaus eine Aussage, die auch aktuell noch von Bestand ist. Und: “Männer sind interessierter an sachlichen Themen, Wissenserweiterung, Fakten und so weiter.” Frauen hingegen, dass nehmen Sie zumindest an, “wollen oft lieber unterhalten werden und freuen sich über Komplimente” (Männer etwa nicht?). Spannend ist sicherlich auch der Autonomieaspekt, der von Ihnen angesprochen worden ist. So schrieb uns beispielsweise eine Frau zu unserer ersten Frage: “Insgesamt erlebe ich bei Männern eine hohe Autonomie und Selbstzufriedenheit. Beschäftigungen wie Zeitung lesen, Mahlzeiten in Gruppen, Gespräche mit Gleichgesinnten, Austausch über Sportergebnisse und Lottozahlen, benötigen weniger Steuerung durch das Pflegepersonal.”
Ihre Antworten zur zweiten Frage
Klar, manche Themen wie Nähen sind auch heutzutage noch eher eine Sache für Frauen, auch wenn Guido Maria Kretschmer im Fernsehen gerade ein neues Format eingeführt hat, in dem Nähen zum Schwerpunkt wird – “Geschickt eingefädelt – Wer näht am besten?”. Auch folgendes Bild ist sicherlich bemerkenswert: Wie sieht Gymnastikunterricht für Männer in Pflegeheimen aus? “Ich verhalte mich so, dass ich zum Beispiel für die Gymnastik nur Handgeräte nehme, die für Männer akzeptabel sind – keine Rhythmikstäbe mit Bändern, dafür aber viel mit Bällen aller Art!”, hat uns eine Frau geschrieben. Andere Aktivitäten sind längere Spaziergänge und Gespräche mit eher sachbezogenen Themen: Sport, Beruf, Geschichte, Erdkunde und so weiter. Entscheidend ist auch das Alter, was sich ebenso in der Auswahl der Materialien spiegelt, die zur Aktivierung bereitgestellt werden. “Entscheidend ist die Sozialisation der einzelnen Personen”, schrieb uns diesbezüglich eine Frau. “Zum Beispiel kennen noch einige Personen, die wir pflegen, die Sütterlinschrift, andere wiederum nicht. Dementsprechend gibt es dann für einzelne Personen Materialien mit der Sütterlinschrift, während andere diese in Druckschrift erhalten.”
Quellenangabe zum Titelfoto:
Foto: Spyros Papaspyropoulos / www.flickr.com
Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.