Soziale Medien als Vermittler: Wie Videos auf das Thema Demenz aufmerksam machen

Das Potential von sozialen Medien geht weit über das Kommunizieren von Kurznachrichten und Statusmeldungen in Facebook und Twitter hinaus. So können beispielsweise Videos auf YouTube ein erster Einstieg in das Thema Demenz sein, etwa als Wegweiser und Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Aber auch Spielfilmszenen, Musikvideos und Interviews bilden wichtige Ergänzungen. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr über einige außergewöhnliche Videos, die für den Umgang mit Demenz sensibilisieren.

Zwei Szenen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Mann sitzt vor dem Spiegel. Er wird zurechtgemacht für seinen späteren Auftritt. Von draußen sind schon laute Gitarren zu hören. Irgendwie passt heute aber alles nicht so recht zusammen. Oder warum wurde bloß vor seinem Auftritt eine Dose Bier geöffnet? Dann steht er schließlich auf der Bühne und fängt an zu singen: „Ein bisschen Spaß muss sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein“. Das Publikum ist höchst irritiert. Hat der Sänger den Ort verwechselt? Schnitt. Verschiedene Bilder sind zu sehen, die an der Wand hängen. U. a. das Portrait eines Mannes in jüngeren Jahren. Es handelt sich um ein Musikvideo. „Heute ist Montag, oder ist noch Donnerstag? Oder schon Ostern?“, heißt es in den ersten Zeilen zum Song. Im Video geht es um die Geschichte eines Mannes, der in die Jahre gekommen ist und der an Alzheimer erkrankt ist. Obwohl beide Geschichten völlig unterschiedlich sind, verbindet sie doch eine wichtige Grundaussage: Für Menschen, die an Demenz erkrankt sind, stellt der Alltag eine große Herausforderung dar. Egal, ob es sich um einen Sänger handelt, der seinen Auftrittsort verwechselt hat, oder um einen Alzheimer-Patienten, für den die eigene Umgebung ein zunehmendes Rätsel darstellt.

Bei der ungewöhnlichen Geschichte des Mannes, der seinen Auftrittsort verwechselte, handelt es sich um einen Spot der Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Als Mitwirkende konnten der Entertainer Roberto Blanco sowie die Heavy Metal Band Sodom gewonnen werden (hier der Link zum Spot). Und so lässt sich auch die anfängliche Irritation des Publikums nach dem Auftritt von Blanco auflösen: Schlager und Heavy Mittel vertragen sich in den meisten Fällen eher schlecht. Das zweite Beispiel stammt dagegen von Purple Schulz. In „Fragezeichen“ – so der Titel des Songs zum Musikvideo (die Singleauskopplung zum Album „So und nicht anders“ von 2012) – schlüpft der Songwriter Schulz in die Rolle des Alzheimer-Patienten, welcher der eigenen Welt mehr und mehr wie ein Fremder gegenübertritt (hier der Link zum Musikvideo).

Ein Musikvideo zum Thema Alzheimer?

Bemerkenswert an den einzelnen Kommentaren auf YouTube zum Musikvideo von Schulz ist vor allem der Hinweis darauf, dass das Video für jeden, der mit Demenzerkrankten in der Pflege zu tun hat, zur „Pflichtlektüre“ werden sollte. Wieso eigentlich? Kann man zu so einem ernsten Thema wie Alzheimer ein Musikvideo machen? „Ich war der Meinung: man muss es sogar“, antwortete Schulz auf diese Frage. Und dann erzählt er ebenfalls im Kommentarbereich auf YouTube, wie er mit seinem Sohn Dominik auf dem siebten Deutschen Alzheimer Kongress live spielte. „Die Resonanz war so überwältigend, dass ich mich dazu entschlossen hatte, ein Video zu drehen.“ Die entscheidende Frage lautet in diesem Zusammenhang: Was unterscheidet ein solches Video von anderen Formaten, in denen für das Thema Demenz sensibilisiert wird? Ist dieses Thema nicht gerade innerhalb der Vermittlung dazu prädestiniert, den rationalen Blick durch intuitive und emotionale Zugänge zu erweitern?

Wenn Schulz in die Rolle des Alzheimer-Patienten schlüpft, liegt der Anspruch darauf, auf glaubhafte Weise zu vermitteln, was es bedeutet, wenn der Alltag plötzlich aus den Fugen gerät: „Ein Schiff, ein Sturm, ein blinder Passagier. Und Angst, dass ich mich hier verlier. In all den Fragezeichen. Ich weiß nicht wie ich heiß und wo ich bin. Ich wär schon froh, wüsst ich wohin.“ Sowohl Angehörige als auch professionell Pflegende bekommen durch dieses Video auf sehr anschauliche und emotionale Weise vermittelt, wie sich Menschen fühlen, die zu einem blinden Passagier auf einem Schiff ohne Reiseroute werden. Es ist zugleich der Blick jenseits der Routine – der Blick auf eine Person hinter dem Menschen, den man einst so gut gekannt hat. Oder der Blick auf eine Person, die vor lauter Routinemaßnahmen in die Ferne entrückt ist. Es geht also in diesem Falle um die Anteilnahme, um die Fähigkeit, intuitiver zu agieren und Emotionen besser zu verstehen, auch wenn das – gerade im Umgang mit Demenz – zuweilen alles andere als leicht fällt.

Wegweiser Demenz – Hilfe für Betroffene und Angehörige

Eine gänzlich andere Art – in Video-Form auf das Thema Demenz aufmerksam zu machen – bilden Ratgeber-Videos und Themen-Filme. Auch hier kann der praktische Vermittlungsansatz in sozialen Medien dazu beitragen, dass konkrete Hilfe, Tipps und Ratschläge für Angehörige in kompakter Form vermittelt werden können, um beispielsweise einen ersten Überblick und Orientierung zu schaffen.

Nehmen wir das Beispiel von Themen-Filmen: Stellen Sie sich doch einfach einen relativ langen Film zum Thema Demenz vor. Nun haben Sie die Aufgabe, diesen Film in einzelne kompakte Themen-Filme aufzuteilen. Was wären die Themen? Ein Film könnte beispielsweise „Am Anfang“ heißen: Am Anfang ist die Unsicherheit im Umgang mit Demenzerkrankten am größten. Was tun? Ein anderer Film trägt möglicherweise den Titel: „Hilfeleistungen im Alltag“. Wie können ganz alltägliche Dinge, wie etwa das Zähneputzen, zukünftig gemeistert werden? Wie steht es um die Hilfeleistungen, wenn die Krankheit weiter fortschreitet? usw.

Der Vorteil solcher Themen-Filme liegt darin, dass durch die Kombination von bewegten Bildern und Tönen, aber auch durch die Möglichkeit, zusätzlich Spielszenen und Interview-Passagen mit einzustreuen (etwa Interviews mit Experten), in relativ schneller Zeit ein umfassender Überblick zu den wichtigsten Fragen zum Thema Demenz vermittelt werden kann – ganz im Gegensatz zu Büchern und Fachliteratur, die eher der Vertiefung dienen.

Auch bleiben manche Erkenntnisse zum Thema Demenz besser im Gedächtnis verhaftet, wenn man sie zusätzlich mit Spielszenen und Beispielen aus dem Pflegealltag versieht. Schließlich kann es auch sinnvoll sein, einzelne Interventionstechniken (etwa Interventionstechniken, die bei chronischem Schlafmangel eingesetzt werden können) vor der Kamera zu demonstrieren. Auch hier können bewegte Bilder in Kombination mit Ton den Zugang zu solchen Techniken erleichtern, weil diese durch Videos Schritt für Schritt veranschaulicht werden können.

Ein gutes Beispiel für einen derartigen Vermittlungsansatz ist das Projekt „Wegweiser Demenz – Hilfe für Betroffene und Angehörige“ des Bundesfamilienministerium. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Themen-Filme, die in einem eigenen YouTube-Kanal präsentiert werden (Hier der Link zum YouTube-Kanal). Im Video-Beitrag „Miteinander reden hilft. Wie ein Ehepaar mit der Erkrankung umgeht“ (3:37 Min), wird z. B. die Geschichte von Joachim Sepp Prünster erzählt. Zunächst war er nur ein zerstreuter Professor. Doch dann wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert. Wie dieses Ehepaar diese Herausforderung gemeinsam gemeistert hat, ist ein Thema innerhalb der insgesamt sieben verschiedenen Themen-Filme, die als Wegweiser im Umgang mit Demenz dienen.

Quellenangaben zu den Titelfotos:

www.youtube.com/watch?v=MSWm9bgkidE

www.youtube.com/watch?v=MSWm9bgkidE

www.youtube.com/watch?v=XIjAHhn7154&list=PL8A7CF40919FB666C&index=4

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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