Sexualität und Demenz: Virtuelles E-Book

Wer als Einzelperson oder Organisation in der professionellen Pflege wissen will, wie sich die Sexualität von Menschen mit Demenz verändert, sollte einmal einen näheren Blick in unser virtuelles E-Book “Sexualität und Demenz” werfen. Anhand von Texten, Vorträgen, Interviews und Videos vermitteln wir Impulse und Grundlagen zwischen Theorie und Praxis.

Das Thema Sexualität und Demenz ist häufig noch ein Tabuthema, obwohl Menschen hierzulande aufgrund der demographischen Entwicklung immer älter werden und sich dementsprechend auch unser gesellschaftliches Bild von der Sexualität im Alter in der Zukunft stärker verändern wird. In professionellen Pflegeeinrichtungen kommt noch hinzu, dass wir gerade einen Generationswechsel erleben, was die Personen anbelangt, die mit oder ohne Demenz in Pflegeeinrichtungen untergebracht sind. Der Wechsel bezieht sich auf den Übergang von ehemaligen Kriegskindern hin zur 68er-Generation: Diese Generation steht insbesondere auch für mehr Offenheit im Umgang mit Sexualität.

Zum Einstieg in das Thema Sexualität und Demenz haben wir für Sie zwei Video-Beiträge ausgewählt. In unserem Video-Diskussionsformat “Das Demenzei des Monats” stellt Detlef Rüsing – Leiter des DZD – einige grundlegende Fragen, die zur Diskussion anregen. Im Video-Interview mit dem Pflegewissenschaftler Georg Franken (DZD) werden unterschiedliche Themenaspekte wie etwa der Umgang von Paaren mit Sexualität und Demenz oder der Bezug zur 68er-Generation angesprochen.

Das Demenzei des Monats: Umgang mit Sexualität

Sexualität und Demenz: Interview mit Georg Franken

Tagung und Dokumentation: Sexualität und Demenz

Bei der Tagung “Sexualität einen Raum geben”, die am 24. Februar 2016 vom Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke ausgetragen wurde, wurde das Thema sowohl theoretisch als auch praktisch beleuchtet. Fragen wie “Wie verändert sich unsere Sexualität im Alter?”,  “Was bedeutet Demenz für die Intimität in Partnerschaften?” oder auch “Wie sieht es mit dem Recht auf Sexualität in den Pflegeeinrichtungen aus?”.

Theoretische Grundlagen

Zu Beginn der Tagung “Sexualität einen Raum geben” standen wissenschaftliche Grundlagenvorträge auf dem Programm. Der Pflegewissenschaftler Christian Müller-Hergl (DZD) führte in das Thema Sexualität und Alter ein. Dabei betonte er in seinem Vortrag den Aspekt der Intimität, der in der Alterssexualität an Bedeutung gewinnt. Auch können Männer, die im Alter häufiger Sex haben, besser schlafen und ihr psychisches Wohlbefinden steigern, während Frauen, die im Alter häufiger Sex haben, weniger ängstlich sind, so die Ergebnisse einzelner wissenschaftlicher Studien, die Müller-Hergl in seinem Grundlagenvortrag zitierte.

Im Anschluss widmete sich der Pflegewissenschaftler Georg Franken (DZD) der Frage, welcher Zusammenhang zwischen Sexualität und Demenz besteht? Dabei ging er zunächst auf die Frage ein, was Demenz für die Intimität in Partnerschaften bedeutet? Die Lust auf Sex schwindet bei Ehepartnern mit den Belastungen, die sie als pflegende Angehörige gegenüber ihrem Partner empfinden. Und wie sieht es mit den Pflegenden in Organisationen aus, was den Umgang mit Sexualität anbelangt? “Intime Verhaltensweisen”, so Franken, “gehören in Pflegeheimen ein Stück weit zum Alltag, wobei Pflegende eher eine problemorientierte Haltung einnehmen.”

Der abschließende Vortrag am Vormittag kam von Andrea Bergstermann (Einrichtungsleitung Altenwohnheim im Hermann Kleiner Haus, Dortmund). Bergstermann hat über viele Jahre in der Altenpflegeausbildung zum Thema Umgang mit Sexualität unterrichtet. An diesem Tag stellte sie verschiedene Leitfragen vor, die in ihrem Unterricht eine zentrale Rolle spielten. Leitfragen wie etwa “Welche unterschiedlichen Bedeutungen kann Sexualität für den älteren Menschen haben?” oder auch: “Welche Faktoren beeinflussen die Sexualität pflegebedürftiger älterer Menschen am meisten?”.

Mit rund 100 Personen aus der professionellen Pflege- und Gesundheitsbranche war die Tagung “Sexualität einen Raum geben” relativ gut besucht.

Brückenschlag in die Praxis

Für Pflegeeinrichtungen stellt der Umgang mit Sexualität eine echte Herausforderung dar. Am Nachmittag eröffnete Bettina Stange mit einem Erfahrungsbericht aus der stationären Altenpflege (Pflegedienst und Heimleitung; Qualitätsmanagerin, Berlin). “Aus Heimleitungsperspektive ist es ein Prozess, in dieses Thema hineinzukommen”, so Stange.

In ihrem Vortrag veranschaulichte sie diesen Prozess an einzelnen Fallbeispielen. So erzählte sie beispielsweise die Geschichte von Herrn B. und Frau D.. Beide Personen hatten eine Demenz im Frühstadium, als sie sich im Pflegeheim einander annäherten. Auch die Tochter von Frau D. war offen gegenüber dieser Beziehung, aber mit der Zeit zog sich ihre Mutter immer weiter zurück, während Herr D. weiterhin auf seine sexuellen Bedürfnisse pochte, bis er sich schließlich auch immer weiter vom sozialen Geschehen abkoppelte. Die Lösung des Problems: Herr D. bekam Besuch von einer Sexualassistentin. “In dem Augenblick”, so Frau Stange, “ist Herr D. wieder aus dem Zimmer gegangen. Er war wie ausgetauscht.” Für Frau Stange, so das Resümee am Ende ihres Vortrags, kann ein offener Umgang mit Sexualität in Pflegeeinrichtungen nur gelingen, wenn die Mitarbeiter stärker in die Thematik mit einbezogen werden ‒ etwa durch Fallbesprechungen und Teamsitzungen.

Auch in rechtlicher Hinsicht besteht das Grundrecht auf Sexualität. Dies verdeutlichte der Jurist Theo Kienzle (Aus-, Fort- und Weiterbildung: Recht in der Pflege und Betreuung, Mosbach) in seinem Vortrag an Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes. Zu der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung gehört ebenso die Sexualität. Bemerkenswert war auch der Hinweis auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, die in Pflegeeinrichtungen häufiger übersehen wird, so Kienzle. Denn wer in Heimen wohnt, darf sich dort sexuell frei entfalten und auf seine Privatsphäre bestehen, solange er oder sie keine verbotenen sexuellen Handlungen praktiziert.

Videos zu der Tagung “Sexualität einen Raum geben”

Der Eröffnungsvortrag von Detlef Rüsing (Leiter des DZD)

Sexualität und Alter: Vortrag von Christian Müller-Hergl (Pflegewissenschaftler)

Umgang mit Sexualität in der Altenpflege: Vortrag von Bettina Stange (Pflegedienst- und Heimleitung, Berlin)

Gibt es ein Recht auf Sexualität? Vortrag von Theo Kienzle (Aus-, Fort- und Weiterbildung: Recht in der Pflege und Betreuung, Mosbach)

Sexualassistenz in der Praxis: Vortrag von Stephanie Klee (Highlights, Agentur für Begleitung, Service, Vermittlung und Bildung, Berlin)

Sexualassistenz in der Praxis: Interview mit Stephanie Klee 

Besuchen Sie auch unseren SlideShare-Kanal. Dort finden Sie einzelne Experten-Präsentationen zum Thema Sexualität und Demenz zum kostenfreien Download, etwa ein Powerpoint-Dokument von Andrea Bergstermann (Einrichtungsleitung Paritätisches Altenwohnheim im Hermann Kleiner Haus, Dortmund). Der Titel: “Umgang mit Sexualität in der Altenpflege ‒ ein Erfahrungsbericht aus der Altenpflegeausbildung”. Hier der Link dazu.

Quellenangaben zu den Fotos:

Foto: www.photocase.de

Foto: Jürgen Appelhans

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

Kommentar verfassen