Persönlichkeitspsychologie: Warum Veränderung stark von Emotionen abhängt

In der Pflege von Menschen mit Demenz kann Stress vorprogrammiert sein. Dies gilt besonders, wenn negative Gedankenschleifen die Überhand einnehmen. Meditation kann für Abhilfe sorgen. Aber eine solche Praxis erfordert gleichfalls die Etablierung einer neuen Gewohnheit. Daher die Frage in dieser neuen Reihe “Persönlichkeitspsychologie für Pflegende”: Wie stark hängen Verhaltensänderungen von Emotionen ab?

Meiner Meinung nach kommt das Thema Persönlichkeitspsychologie in der Pflege viel zu kurz. Denn im Tagesgeschäft vergessen wir relativ schnell, wie wichtig es ist, sich intensiver mit der eigenen Persönlichkeit zu beschäftigen. Dies ist vor allem auch in der Pflege von Menschen mit Demenz von großer Bedeutung, da diese Menschen vielfach ein Spiegel für unser eigenes Verhalten sind. Wer beispielsweise sehr häufig gereizt auf seine Umwelt reagiert, ist vielleicht grundsätzlich auch eine eher nervöse Persönlichkeit.

Wieso wir häufig nicht das tun, was wir eigentlich wollen

Wenn wir unser eigenes Verhalten verändern wollen, so reicht es nicht aus, sich einfach S.M.A.R.T.E Ziele zu setzen (das Akronym S.M.A.R.T steht für die Begriffe “spezifisch”, “messbar”, “aktionsorientiert”, “realistisch” und “terminierbar”) und diese schrittweise umzusetzen, etwa das Ziel, jede Woche mindestens an fünf Tagen zu meditieren, um gelassener mit Stress im Alltag umzugehen. Ganz wesentlich sind dabei auch unsere Emotionen, denn unsere Emotionen sollten mit unseren Zielen im Einklang stehen.

Dies ist für mich ein ganz wichtiger Impuls, den ich bei der Psychologin Maja Storch entdeckt habe. Denn wenn die eigenen Ziele nicht mit der inneren Haltung im Einklang stehen, kann es zu einem Zielkonflikt kommen. Ich möchte zwar aufhören zu rauchen, aber innerlich gibt es bei mir ein sehr starkes Gefühl, das verhindert, dass ich auch tatsächlich mit dem Rauchen aufhöre: egal was der Verstand auch sagt. Ich höre einfach nicht auf, basta!

Oder stellen Sie sich folgende Geschichte vor: Ein Mann macht über viele Jahre das, was “man halt so macht”. Er studiert Wirtschaft und übernimmt die Firma seines Vaters. Schließlich wird er mit 50 Jahren immer häufiger des Nachts von furchtbaren Albträumen heimgesucht. Was sich erst in Bruchstücken als wirklich starke Emotion bemerkbar macht, summiert sich allmählich zu einem zusammenhängenden Bild, das aus dem Unterbewusstsein mit aller Vehemenz gewaltsam vordringt. Eigentlich hat dieser Mann über einen recht langen Zeitraum nicht seine eigenen, sondern fremde Ziele verfolgt.

Ich gebe zu, dass das Beispiel vielleicht ein wenig überspitzt erscheinen mag, aber die Frage bleibt: Wie stark setzen wir uns mit unseren persönlichen Bedürfnissen und Emotionen auch tatsächlich auseinander? Meine Behauptung: Wer sich selber besser kennt und sich immer wieder ausreichend Zeit für die persönliche Entwicklung nimmt (übrigens durchaus bis ins hohe Alter), kann mit vielen Dingen im Alltag auch wesentlich besser umgehen.

Auf Pflege bezogen: Wir wissen beispielsweise besser einzuschätzen, wann der Zeitpunkt angelangt ist, mental abzuschalten. Wir wissen auch besser einzuschätzen, was uns wirklich gut tut. So gesehen halte ich eine intensivere Auseinandersetzung mit Persönlichkeitspsychologie, die auch mit ganz praktischen Verhaltensexperimenten im Alltag verbunden sein kann (auf die wir noch später genauer eingehen werden), für absolut essenziell! Das ist auch die Motivation für mich, diese Reihe für Sie zu schreiben. Sonst hätte ich nämlich überhaupt keinen Antrieb dazu ;-)

Manche Menschen können beim Puzzeln entspannen …

Ein Fallbeispiel

“Frau Hannah K. (eine fiktive Person; Anm. des Verfassers) leitet ein Pflegeheim. Ihre Aufgaben hat Frau K. immer mit größter Bravour gemeistert, allerdings hat der Stress in ihrem Job in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Die häufige Überforderung ihrer Mitarbeiter hat sich dementsprechend auch auf der Führungsebene negativ bemerkbar gemacht: Zu wenig Mitarbeiter, die zu viele Aufgaben erledigen müssen, erschweren auch die Leitung. Auf der anderen Seite ist die Mutter von Frau K. erst vor kurzem an Alzheimer erkrankt. Nun muss sich Frau K. näher mit der Frage auseinandersetzen, wie sie all diese Probleme und Anforderungen in den Griff bekommen kann. Der Druck und die Anforderungen bleiben ja, aber wie kann Frau K. dennoch für mentale Entlastung sorgen?” (Klug 2014: 58).

Persönlichkeit, Ziele und Handlungen hängen insofern zusammen, als dass unsere Ziele stark von der Frage abhängen, inwieweit unsere Ziele auch tatsächlich gewollt sind. Nehmen wir vor diesem Hintergrund an, dass sich Frau K. vorgenommen hat, in Zukunft regelmäßig zu meditieren, um das ganze Gedankenkarussell, was sich bei Frau K. häufig im Kopf abspielt, um einige Gänge herunterzuschalten. So wissen wir beispielsweise aus der Forschung, dass Anti-Stress-Programme wie MBSR nach Jon Kabat-Zinn (engl.: Mindfulness based stress reduction, zu Deutsch: achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung) einen positiven Effekt auf unser Denken und Handeln ausüben können.

Wer also lernt, sich durch regelmäßiges mentales Training mehr auf den Moment zu konzentrieren, sorgt auch dafür, dass negative Gedanken und Sorgen schneller abgeschaltet werden. Wenn Frau K. regelmäßig MBSR anwenden würde, könnte sie lernen, mit dem Stress in ihrem Beruf und in ihrer Freizeit wesentlich produktiver umzugehen.

Das Beispiel von Frau K. ist für mich zugleich stellvertretend für zahlreiche Klagen über zu viel Stress in der Pflege: Wer häufiger mit negativen Emotionen und psychischen Problemen konfrontiert wird, wer in häufig wechselnden Schichten und in enger Zeittaktung arbeitet, kann schnell zur Überforderung gelangen, wenn nicht frühzeitig für mentalen Ausgleich gesorgt wird. Und das heißt vor allem, sich mehr auf den Moment einzulassen und von negativen und lähmenden Gedankenschleifen zu befreien. Und das erfordert regelmäßiges Training!

… Andere brauchen Karate.

Warum gute Stimmung so wichtig ist

Wenn wir tatsächlich etwas gegen zu viel negativen Stress unternehmen wollen, ist gerade auch die Stimmung zu diesem Entschluss von großer Bedeutung, denn wer will schon jede Woche fünfmal meditieren, wenn die Emotionen dazu nicht stimmen?

Zunächst einmal gibt es Persönlichkeiten, die mehr Bewegung zum Stressabbau benötigen, während andere Menschen quasi lieber wie ein Buddha auf der Erde sitzen, um sich zu entspannen. Ich kenne das von mir persönlich: Stressabbau bedeutet für mich Bewegung und genau deshalb gehe ich auch regelmäßig joggen, während meine Freundin, die eher ein ruhiger Typ ist, total abschalten kann, wenn sie puzzelt. Aber, und jetzt kommt der springende Punkt: Joggen bringt mich in eine “positive Affektlage”, wie das Maja Storch als Psychologin formuliert. Das bedeutet, dass bei der Verfolgung von Zielen die Emotionen eine wirklich wichtige Rolle spielen. Wenn ich mit dem Joggen grundsätzlich kein positives Bild verbinde, fällt es mir auch erheblich schwerer, mich dazu aufzuraffen, regelmäßig zu joggen.

Deshalb ist es auch so wichtig, auf die eigenen Emotionen und Körpersignale zu hören. Der Hirnforscher Antonio Damasio bezeichnet das als “Somatische Marker”. Dieser Begriff leitet sich aus folgender Erfahrung ab: Alle Erfahrungen, die der Mensch in seinem Leben macht, werden laut Damasio in einem emotionalen Gedächtnis gespeichert. Steht eine Entscheidung für ein bestimmtes Ziel an, wird das Denken von diesen “emotionalen Markern” unterstützt. Signale dieser Art sind zum Beispiel das “Kribbeln im Kopf” oder ein wirklich positives Bild, das sich bei der Vorbereitung darauf einstellt, ein bestimmtes Ziel in die Tat umzusetzen. Ich befinde mich vollkommen tiefenentspannt auf Mauritius am Strand und meditiere: Das ist für mich ein schönes Bild und motiviert mich vielleicht dazu, mit dem Meditieren zu beginnen!

Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Frau K. erst dann wirklich erfolgreich Meditation praktiziert, wenn sie der Gedanke ans Meditieren in eine gute Stimmung versetzt. Natürlich kann Frau K. sich auch dazu zwingen, regelmäßig zu meditieren. Aber ihre Gefühle würde sie damit verdrängen, wenn Meditation an sich nichts für sie ist. Dass das hartnäckige Verfolgen von Zielen auf der anderen Seite aber auch mit Dressur und Disziplinierung zusammenhängen kann, zeigt beispielsweise die Tigermutter Amy Chua in ihrem Buch “Battle Hymn of a Tiger Mother” (zu Deutsch: “Die Mutter des Erfolgs”).

Ich muss dabei immer an Kinder und Jugendliche von solchen Eltern denken, die ihre Sprösslinge gegen ihren Willen zum Klavierunterricht oder Chinesisch lernen schicken. Ich bin dabei zwar sehr wohl der Meinung, dass man manchmal auch zu einer Sache gezwungen werden muss bzw. einen Anstoß braucht, jedoch glaube ich nicht, dass ein Kind jemals wirklich gut Klavier spielen oder Chinesisch sprechen wird, wenn es weder Lust noch Talent dazu hat.

Fazit

Über lange Zeit habe ich angenommen, dass S.M.A.R.T.E Ziele das A und O im Selbstmanagement sind. Ich habe mir dann beispielsweise so wie aktuell vorgenommen, am Freitag, den 3. Juli um 19 Uhr einen Nachtmarathon in Marburg zu absolvieren, und habe dafür bereits über mehrere Jahre trainiert und zwei Halbmarathons absolviert. Mein Ziel ist also definitiv “spezifisch”, “messbar”, “aktionsorientiert”, “realistisch” und “terminierbar”.

Was ich dabei aber bis dato immer unterschlagen habe, ist folgende Erkenntnis: Wenn derartige Vorhaben nicht zu mir als Persönlichkeit passen und mich prinzipiell nicht in eine “positive Affektlage” versetzen, werde ich mit derartigen Zielen definitiv auf Sicht scheitern! Unsere Emotionen spielen somit bei dem Verfolgen von Zielen eine wirklich wichtige Rolle, denn sie sollten so oft wie möglich mit unseren rationalen Entscheidungen im Einklang stehen.

Und das ist das Bild, was ich persönlich mit Marathon verbinde: Ich stelle mir dabei lauter jubelnde Menschen an einem möglichst sonnigen Tag vor (oder jetzt in Marburg in der Nacht), während ich in einen wahren Adrenalinrausch versetzt bin. Und wenn dann die ganze Anstrengung abgestreift ist, stellt sich ein Gefühl der inneren Leere ein. Großartig!

Weiterführende Literatur:

Quellenangaben zu den Titelfotos:

Foto: Pablo Fernández / www.flickr.com

Foto: Kevin Dooley / www.flickr.com

Foto: Phillippe Gomez / www.flickr.com

Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.

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