So sehr sich Pflegende manchmal eine Reaktion oder überhaupt ein sprachliches Zeichen von Personen mit einer Demenz wünschen, so überfordert sind sie zuweilen von dem, was da auf sie einprasselt. Daher wollten wir von Ihnen in diesem Demenzei wissen, wie Ihre Erfahrungen mit Schreien und Rufen aussehen.
In dem Video-Diskussionsformat “Das Demenzei des Monats” werden zumeist brisantere und komplexere Themen aus der Welt der Demenzforschung vorgestellt. Bis dato gab es fünf Demenzeier zu solchen Themen wie Gewalt oder auch Wahn, Halluzinationen und Lügen. In dem letzten Demenzei haben wir uns mit Schreien und Rufen beschäftigt.
Das Demenzei zum Thema Schreien und Rufen
In unserem Demenzei hatten wir Ihnen vorab zwei Fragen gestellt:
- Wenn Sie schon Erfahrungen mit Rufen und Schreien bei Demenzerkrankten gemacht haben, was löst dieses Rufen und Schreien bei Ihnen aus?
- Was sind Ihre Lösungsstrategien zum Umgang damit?
Ihre Antworten zur ersten Frage
Wenn eine Person mit Demenz schreit oder ruft, so schreiben Sie uns, löst das schnell einen Reflex aus. Wenn dieses Phänomen allerdings über einen längeren Zeitraum anhält, so entsteht negativer Stress. Dies kann unter Umständen gar für viele Personen oder Teams in der professionellen Pflege gelten, die dauerhafter damit konfrontiert werden.
Außerdem schrieben Sie uns, dass Schreien und Rufen Traurigkeit hervorrufen kann. “Nicht, dass ich weinen könnte oder totales Mitleid hätte, aber dennoch denke ich immer wieder an die Zeit vor dem Alltag dieser Menschen im Pflegeheim zurück. Das macht mich zuweilen traurig.”
Und selbstverständlich kann Schreien und Rufen auch ausgelöst werden, so Ihre Erfahrung, wenn die individuellen Bedürfnisse einer Person in der Pflege zu stark vernachlässigt werden.
Die Gründe sind dabei allerdings sehr vielfältig. Es könnten Schmerzen sein, Langeweile, Hilferufe, vielleicht auch andere Störfaktoren wie Lautstärke, Durchzug, Aufmerksamkeit und Ähnliches.
Ein andere interessante Perspektive eröffnet sich durch die Wahrnehmung. So schrieben Sie uns vor diesem Hintergrund: “Oftmals frage ich mich, wie mag der Mensch mit Demenz sein Schreien empfinden? Nimmt er es überhaupt wahr? Ich nehme es sehr wohl wahr. Es bedarf schon einer inneren Ausgeglichenheit, um sich einem schreienden Menschen bewusst gegenüber zu setzen und dessen Situation zu beobachten.”
Ihre Antworten zur zweiten Frage
Bei den Lösungsstrategien müssen wir sicherlich zwischen den kurz- und langfristigen Lösungsansätzen unterscheiden.
Kurzfristig: “Was muss ich tun, was kann ich tun? Also Hilfsimpulse in mir. Und wenn die Strategien kurzfristig helfen: Erleichterung.”
Langfristig: Wenn alles getan wurde und nichts zu helfen vermag, so schreiben Sie uns, kann es auch noch helfen, Trost zu spenden.
Auch bemerkenswert: “Rufen in der Gruppe”. Wie verhalten sich einzelne Menschen innerhalb einer solchen Gruppe, wenn jemand mit dem Rufen beginnt? Rufen sie auch? Oder reagieren Sie mit Ignoranz und Ablehnung? Wollen sie trösten und streicheln? Oder signalisieren Sie einfach, dass es zu laut ist?
Sie schreiben bei den Strategien auch über Validation. Es schreit eine Person mit Demenz, die Sie pflegen. “Ich gehe natürlich zu ihr hin. Beobachte die Mimik und Gestik bei dem Rufen. Kann es Trauer sein, Wut, Schmerz oder nur einen Moment Aufmerksamkeit?”. Wenn Sie dann merken, dass eine Person aus Wut schreit, dann bestätigen Sie das, dann sagen Sie dieser Person, er oder sie sei jetzt so richtig wütend. Spiegelung des Verhaltens (Validation nach Richard). Je nachdem, ob es eine Antwort gibt, ist es so möglich, auf der Gefühlsebene miteinander zu kommunizieren. “Das kann eine super Methode sein”, davon sind Sie überzeugt.
Neben Validation sprechen Sie auch von basaler Stimulation. Die Anregung primärer Körper- und Bewegungserfahrungen kann beispielsweise dabei helfen, Schreien und Rufen zu reduzieren, wenn dieses aus Kontaktarmut entstanden sein soll.
In jedem Fall geht es bei den Strategien auch um das nähere Erforschen der Ursachen für Schreien und Rufen. Sie probieren verschiedene Interventionen aus und gelangen so unter Umständen zum Kern des Problems.
Quellenangabe zum Titelbild:
Foto: Neil Moralee / www.visualHunt.com
Detlef Rüsing ist Pflegewissenschaftler und leitet das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke. Rüsing verfügt ebenso über langjährige praktische Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege: Er hat dort über 16 Jahre gearbeitet. Seine Schwerpunkt liegt auf Theorie-Praxis-Transfer. Daneben ist er Herausgeber von “pflegen: Demenz. Zeitschrift für die professionelle Pflege von Personen mit Demenz”. Kontakt: detlef.ruesing@uni-wh.de.
Marcus Klug arbeitet aktuell als Kommunikationswissenschaftler und Social Media Manager am Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) und betreut dort das Projekt Wissenstransfer 2.0. Das Projekt wurde bereits mit dem Agnes-Karll-Pflegepreis 2013 ausgezeichnet. Sein Schwerpunkt liegt auf Wissenskommunikation im Social Web. Daneben betreibt er als hauptverantwortlicher Redakteur seit Mai 2012 zusammen mit Michael Lindner Digitalistbesser.org: Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen. Kontakt: marcus.klug@uni-wh.de.
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