Erkennen von Emotionen bei Demenz: Nachbericht zur Tagung

Die Tagung an der Universität Witten/Herdecke schlug Brücken zwischen Forschung und Praxis. Ziel war es, die Emotionen Demenzerkrankter besser erkennen zu können.

“Das Thema ist hochinteressant und ein wenig irritierend: `Gefühle lesen. Erkennen von Emotionen in der Pflege´. Und gerade in der Medizin ist das etwas, dass man erst einmal mit Befremden liest”, sagte Prof. Dr. Martin Butzlaff , selbst Mediziner und Präsident der Universität Witten/Herdecke, zu Beginn der Tagung “Gefühle lesen. Erkennen von Emotionen in der Pflege Demenzerkrankter”, die vom Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke veranstaltet wurde. Während beispielsweise Neurochirurgen oder Kardiologen ein derartiges Thema mit weichen Faktoren verbinden, ist die Frage, wie Gefühle von Demenzbetroffenen interpretiert werden sollen, dagegen in der Pflege von zentraler Bedeutung. “Emotionen sind ein Kernthema in der Begegnung, in der Auseinandersetzung mit Demenzbetroffenen. Sie besser lesen zu lernen und klüger damit umzugehen, ist vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben in der gesellschaftlichen Großaufgabe, Menschen mit Demenz in Würde altern zu lassen”, so Butzlaff weiter.

Neben Prof. Dr. Martin Butzlaff unterstrich auch Markus Leßmann – Leiter der Abteilung Pflege, Alter, demographische Entwicklung im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW – die gesellschaftliche Bedeutung des Themas “Erkennen von Emotionen bei Demenz”.

Das Ziel der Tagung bestand darin, zu einem grundlegenderen Verständnis von Emotionen in der Pflege Demenzerkrankter vorzudringen. Es war die zweite Veranstaltung des DZD dieser Art: Den Hintergrund bildete der Forschungsnewsletter des DZD, in dem relevante Erkenntnisse aus der internationalen Demenz- und Versorgungsforschung in etwa viermal pro Jahr vornehmlich an Entscheider aus der professionellen Pflege und dem Gesundheitssektor vermittelt werden. Bei der Tagung waren sowohl professionelle Pflegekräfte und Entscheider als auch Wissenschaftler, selbstständige und beratende Personen zugegen. Die Veranstaltung war mit rund 200 Personen komplett ausgebucht.

Der Dialog in beide Richtungen: Von der Wissenschaft in die Praxis und von der Praxis in die Wissenschaft

Der Wissenstransfer in beide Richtungen – von der Wissenschaft in die Praxis und von der Praxis in die Wissenschaft – ist eines der Hauptanliegen des DZD. Bei der Tagung wurde deshalb zum einen der Transfer von Erkenntnissen aus der Forschung zum besseren Verständnis von Emotionen als Kernthema in der Auseinandersetzung mit Demenzbetroffenen beleuchtet (und zwar aus der Sicht der Neurobiologie, Psychologie, Psychiatrie und Pflegewissenschaft), zum anderen auch Impulse aus der Versorgungspraxis mit aufgenommen. Zwischen den professionellen Pflegekräften aus dem Publikum und einzelnen Referenten kam es bei dieser Tagung vielfach zum Dialog. Es wurden zahlreiche Fragen gestellt und angeregt diskutiert.

Zu den Grundlagenvorträgen gehörten an diesem Tag der Vortrag “Demenz und Emotionen – Wichtige Ergebnisse der Forschung aus neurobiologischer Perspektive” von Prof. Dr. Martina Piefke (Lehrstuhlinhaberin Neurobiologie und Genetik des Verhaltens an der Universität Witten/Herdecke) und “Demenz und Bindung – Die Bedeutung von Beziehung für die Arbeit mit Menschen mit Demenz” von Dr. Wilhelm Stuhlmann (Arzt für Psychiatrie und Neurologie). Während Piefke grundlegende Zusammenhänge zwischen dem Erkennen von Emotionen und Demenz aus neurobiologischer Perspektive vermittelte, etwa zur Emotionsverarbeitung des zentralen Nervensystems bis hin zu der Frage, was Neurobiologie und Pflege von Demenbetroffenen miteinander zu tun haben, stellte Stuhlmann in seinem Vortrag das Bindungskonzept vor. “Das Bindungskonzept ist ein integratives Konzept”, so Stuhlmann, “in dem neurophysiologische, neurobiologische, verhaltens- und entwicklungspsychologische Aspekte miteinander verbunden und praktisch in der Arbeit mit Menschen mit Demenz umgesetzt werden”.

Mit ca. 200 Personen war die Tagung “Gefühle lesen. Erkennen von Emotionen in der Pflege Demenzerkrankter” komplett ausgebucht. Die meisten Personen im Publikum blieben bis zum Ende der Tagung. Außerdem erfreulich: Es wurden viele Fragen gestellt und angeregt mit den Referenten diskutiert. Bild: Detlef Rüsing im Eröffnungsvortrag (Leiter des Dialog- und Transferzentrum Demenz).

Neben diesen Grundlagenvorträgen hielt der Clown und Autor Ulrich Fey einen Vortrag zu der Frage “Warum braucht es den Clown? Beziehungsarbeit und Humor”, bei dem er überzeugend anhand zahlreicher plastischer Beispiele darlegen konnte, inwieweit der Clown bedingt durch seine Sonderstellung im Pflegekontext einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit Emotionen leisten kann. Wenn die Kognition eingeschränkt ist, wird Nähe zunehmend wichtiger und dabei gibt es für den Clown an sich keine Tabus. Beispiel von Fey dazu: Eine Bewohnerin im Pflegeheim, die er einmal als Clown besuchte, erzählte ihm, dass sie gerne sterben wolle. Reaktion des Clowns: “Wir können das ja üben. Also legen Sie sich mal hin, als ob sie gestorben wären. Ich komm rein und guck, ob das gut aussieht”.

Weiterhin präsentierte Dr. Marion Bär (Kompetenzzentrum Alter am Institut für Gerontologie an der Universität Heidelberg) präsentierte an diesem Tag das Projekt DEMIAN – ein Konzept zur emotionalen Förderung von Menschen mit Demenz im Pflegealltag. Da die Emotionsfähigkeit von Menschen mit Demenz weitgehend erhalten bleibt, steht bei DEMIAN das Fördern von positiven Emotionen in Alltagssituationen im Vordergrund; etwa durch das Herausstellen von Aufgaben, die Freude bereiten, oder durch Erinnerungen, die positive Assoziationen auslösen.

Im Vortrag “Demenz und Emotionen – Wichtige Ergebnisse der Forschung aus neurobiologischer Perspektive” ging Prof. Dr. Martina Piefke (Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik des Verhaltens) auch auf die Frage ein, welche Areale im Gehirn im besonderen Maße für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind.

Zum Abschluss der Tagung stellten Christian Müller-Hergl und Marcus Klug (beide DZD) im „Dialog: Eine pflegerische Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz“ verschiedene Fallbeispiele vor, die zusammen mit dem Publikum rege diskutiert wurden, etwa ein Fallbeispiel, in dem ein an Demenz erkrankter Mann einen anderen Bewohner im Pflegeheim drangsaliert. Die Frage dazu: Ab wann sollten Pflegende in eine derartige Konfliktsituation eingreifen? Dabei ging es bei allen Fallbeispielen um den souveränen Umgang mit Emotionen, was häufig viel Reflexionsvermögen, Achtsamkeit und Empathie auf Seiten der Pflegenden abverlangt.

Nach der Tagung wird außerdem ein multimedialer Tagungsband mit zusätzlichem Video- und Bild-Material veröffentlicht. Derzeit sind bereits Videos zu einzelnen Themenschwerpunkten von der Tagung auf dem YouTube-Kanal des DZD verfügbar. Hier der Link dazu: https://www.youtube.com/user/DialogzentrumDemenz. Zu dem Verhältnis von Demenz und Emotionen aus neurobiologischer Sicht ist zudem ein vierteiliges Video-Interview mit Prof. Dr Martina Piefke mit einem Glossar zu zentralen Begriffen zur Neurobiologie der Emotionen unter dem Format-Titel “Das kleine ABC der Emotionen” frei verfügbar. Hier der Link dazu: http://dzd.blog.uni-wh.de/das-kleine-abc-der-emotionen-erkennen-von-emotionen-aus-neurobiologischer-perspektive/#more-6700.

Quellenangabe zu den Fotos:

Fotos: Jürgen Appelhans

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